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Das verborgene Kind

Das verborgene Kind

Titel: Das verborgene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Willett
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konnte. Es war so schwierig, mit dieser zugeknöpften, schweigsamen Frau zu leben. Andererseits habe ich sie nie anders gekannt, und Gott sei Dank hatten wir ja Lottie. Sie war zwar nicht auf die übliche Art mütterlich, aber sie war da und hat dafür gesorgt, dass wir normale Kinder sein konnten. Aber je älter ich wurde, desto mehr habe ich Mum ihr Schweigen verübelt, diesen Zustand, in dem sie lebte – nie richtig betrunken, aber auch nicht wirklich nüchtern –, und am Ende habe ich sie irgendwie aufgegeben. Matt nicht. Er war immer so geduldig. Aber er konnte sich auch an die Mum von früher erinnern, verstehst du, und er hat immer gehofft, dass ein Wunder geschehen und sie wieder die Alte werden würde. Heute kann ich natürlich verstehen, warum sie so war, und ich habe ein ganz schlechtes Gewissen, weil ich nicht verständnisvoller war. Sie hatte etwas Grauenvolles durchgemacht und hat David bestimmt keinen Moment vergessen. Jedes Mal, wenn sie Matt anschaute, muss sie David gesehen haben. Und das Allerschlimmste muss gewesen sein, dass sie glaubte, dass niemand David jemals so lieben und verstehen könne wie sie, und sie muss sich vollkommen hilflos vorgekommen sein. Und dazu die zermürbenden Schuldgefühle und diese Gespräche mit Dad, in denen sie bestimmt das ganze ›Was wäre, wenn‹ hin- und hergewälzt haben. Arme, arme Mum!«
    Jules wartete, bis ihr Tränenausbruch vorüber war. Imogen putzte sich die Nase.
    »Aber du sagst, du willst nicht zulassen, dass du dir ständig Sorgen um Rosie machst?«
    »Nein«, erklärte sie heftig. »Sie soll nicht in einer paranoiden Atmosphäre aufwachsen. Im Rückblick hat Lottie uns vermutlich davor bewahrt, überbehütet und vor lauter Sorge erdrückt zu werden. Sie hat dafür gesorgt, dass wir uns frei bewegen konnten wie normale Kinder. Und ich habe erlebt, wohin Angst führen kann, nämlich direkt zur Flasche. So will ich nicht werden, Jules.« Sie erschauerte. »Ich habe beschlossen, dass mir nichts anders übrig bleibt, als solche Gefühle im Keim zu ersticken. Rosie schwebt heute in keiner größeren Gefahr als letzte Woche. Natürlich werde ich die normale Vorsicht walten lassen, aber ich will keinen Verfolgungswahn entwickeln. Das darf ich um ihretwillen nicht.«
    Sie verzog das Gesicht und schluchzte erneut los, und Jules hielt sie fest in den Armen.
    »Du hast vollkommen recht«, sagte er. »Ich stehe restlos hinter dir.«
    »Ich habe noch etwas anderes beschlossen.« Imogen trocknete sich die Tränen. »Lottie hat etwas über Angst gesagt, und da hatte ich das Gefühl, es sei richtig.«
    Sie zögerte. »Was hat sie denn gesagt?«, fragte Jules.
    »Sie sagte, es brauche nicht viel, um ein Klima der Angst zu erzeugen. Dass ein Terrorakt in der Lage sei, die Welt beinahe zu lähmen und aus dem Nichts heraus Misstrauen und Angst zu säen. Sie hat vom Glauben an die Menschheit und der Hoffnung auf die Zukunft gesprochen, und plötzlich wusste ich, dass ich noch ein Kind will, Jules. Unser Kind, als eine Art Symbol.«
    Er lächelte. »Quasi, um der Angst eine lange Nase zu drehen, Schatz?«
    Sie lächelte ebenfalls, obwohl sie den Tränen noch ziemlich nahe war. »Genau. Wenn man sich gestattet, darüber nachzudenken, ist alles so schrecklich. Ein ängstlicher Gedanke führt zum anderen, und dann fährt man in eine Art Hölle aus schrecklichen Bildern und Grauen. Das will ich nicht, Jules. Ich habe die Wahl. Mum hatte Gründe für ihre Alkoholabhängigkeit; David war verschwunden, und dann kam Dad ums Leben. Ich verurteile sie überhaupt nicht. Aber für uns hat sich doch eigentlich nichts verändert, oder? Wenigstens wissen wir, dass David lebt und glücklich aussieht. Er hat nie wirklich etwas anderes gekannt, oder zumindest kann er sich wahrscheinlich an nichts anderes erinnern. Nur, dass er als Zwilling vielleicht auch solche merkwürdigen Gefühle und Rückblenden erlebt hat wie Matt.« Sie schüttelte den Kopf. »Das klingt jetzt wahrscheinlich kaltschnäuzig, oder ich sehe die Sache zu simpel, aber wir müssen mit diesem neuen Wissen fertig werden und weiter dafür sorgen, dass Rosie in einer glücklichen Welt aufwächst. Und das ist meine Art, das zu tun.«
    Sie hielten einander fest umschlungen. Jules wusste, dass dieses Gespräch sich noch in vielen Facetten und bei vielen Gelegenheiten wiederholen würde. Es war für Imogens geistige Gesundheit wichtig, dass sie so oft darüber reden konnte, wie sie das Bedürfnis dazu verspürte. In letzter

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