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Das verborgene Netz

Das verborgene Netz

Titel: Das verborgene Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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große Stücke auf Gretzki hielt.
    Die Zimmerlampen waren ausgeschaltet, und es dauerte einen Moment, bis er Esther im trüben Schein des Mondes auf dem kleinen Schwarzweißmonitor sah. Sie hatte das Fenster geöffnet, hockte auf dem Sims, in einer Hand eine Zigarette, in der anderen ein Glas, Rotwein vermutlich, das einzige alkoholische Getränk, das sie mochte. Sie trug eine Jeans und die hellblaue Bluse, die ihm so gefiel, die Haare offen, hatte die Beine ausgestreckt, den Kopf zurückgelehnt. In dem großen Fensterrahmen wirkte sie noch zierlicher als sonst. Ihre Bewegungen waren langsam, und er glaubte zu spüren, dass sie ein wenig zur Ruhe gekommen war.
    Sie hatte Hotel und Flug am 20 .Oktober in der Firma über das Internet gebucht. Verwandtenbesuch, hatte sie zu den Kollegen gesagt. Es gab keine Verwandten in Berlin.
    Sie hatte keine Telefonate mit Berlin geführt, keine entsprechenden E-Mails geschrieben, weder vom Büro noch von zu Hause aus. Zwei Tage vergingen, sie warteten und rätselten. Dann kamen sie auf die Idee, die Bewegungsprofile der Zeit davor durchzusehen, und stießen auf die beiden Anrufe aus einer Telefonzelle Anfang Oktober. »Sie ist aufgeflogen«, hatte sein Vater gesagt und sich mit Gretzki in Verbindung gesetzt.
    Auf dem Monitor entstand Bewegung, Esther glitt von der Fensterbank. Vor dem Bett verharrte sie, streifte einen Pullover über. Die Weinflasche in der Hand, kehrte sie zum Fenster zurück.
    Wolken zogen vor den Mond, sie verschwand im Grauschwarz. Dann eine Ahnung von Weiß – ihre Wange, ihr Hals, das Dekolleté.
    Dass sie bereits geredet hatte, war im Grunde auszuschließen. Keine entsprechenden Treffen, keine geheimnisvollen neuen Bekannten, und an ihrem Verhalten hatte sich nichts verändert. Aber sie konnten nicht ausschließen, dass sie kontaktiert worden und deshalb nach Berlin gekommen war – zwei kurze Anrufe aus einer Telefonzelle, eine Minute fünfzig, eine Minute zehn.
    Sie hatten gewusst, dass sie labil war. Deshalb waren sie vor sieben Monaten an sie herangetreten.
    Das war die hohe Kunst: Im richtigen Moment zu akquirieren, im richtigen Moment abzutauchen. Sie hatten zu lange gewartet. Egal, was in Berlin geschehen würde, sie mussten sie fallenlassen. Es stand zu viel auf dem Spiel.
    In Mikes Jackentasche vibrierte das Handy – Gretzki.
Alles da, was du brauchst?,
hatte er geschrieben.
    Wieder dieser Gedanke: zu beflissen für Gretzki.
    Er zog den rechten Handschuh aus.
Alles da,
antwortete er.
    Auf dem Monitor flammte ein Feuerzeug auf. Schweigend saßen sie da, rauchten, seit sieben Monaten miteinander verbunden und doch auch wieder nicht.
     
    Esther im Bad, unter der Dusche, beim Eincremen, in Blümchennachthemd und Socken am Waschbecken. Beim Zähneputzen stützte sie sich wie immer mit der linken Hand auf dem Beckenrand ab. Vier Minuten, zwei für oben, zwei für unten, selbst das Fiepen der elektrischen Zahnbürste übertrug die Wanze. Dann Zahnseide, Gesichtspflege, Abend für Abend die gleichen sparsamen Bewegungen, die gleichen Abläufe, als folgte sie einem festgeschriebenen Programm.
    Abend für Abend, Morgen für Morgen, seit er sie kannte.
Später, als sie schlief, nahm er den kleinen Rucksack, verließ das Zimmer und ging ins Erdgeschoss hinunter. Ein ausgefranster Läufer verschluckte jedes Schrittgeräusch, aus dem Barraum drang Schlagermusik. Durch die Glasscheibe der Doppeltür sah er am Ende des Tresens Gretzkis Mann, ein erstarrter, massiger Körper ohne Gesicht, der Kopf außerhalb des Lichtscheins. Für einen Moment wirkte er wie ein lauerndes Reptil, und Mike verfluchte sich dafür, dass er Menschen wie ihn und Gretzki in Esthers Umgebung gebracht hatte.
    Er trat auf den Gehsteig. Auch Gretzki war sicher noch in der Nähe, in einem Auto, einem Gebäudeeingang, nah genug jedenfalls, um ihn zu bemerken. Er wandte sich nach rechts. Unter seiner Haut prickelte das Adrenalin, sein Herzschlag hatte sich beschleunigt. Alle Sinne wachsam, fingen Geräusche, Bewegungen, Lichtreflexe auf, die relevant sein könnten. Keine Kontakte, keine Telefonate, hatte Gretzki gesagt, und auch in Freiburg war ihnen nichts aufgefallen. Doch er wusste, dass das nichts bedeutete. Zu oft hatte er Menschen observiert, Informanten von einer auf die andere Seite geholt, in einem zweiten oder dritten Ring um eine Zielperson gestanden. Nein – keine Kontakte, keine Telefonate bedeutete nichts, und solange sie nicht wussten, weshalb Esther nach Berlin geflogen war,

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