Das verbotene Eden: Magda und Ben: Roman (German Edition)
Logan und Gwen sich als ihre neue Heimat ausgesucht hatten, lebten mittlerweile schon fünf Familien, und bald würde eine sechste dazukommen. Gunnar und Dachs hatten beschlossen, ihre alte Schmiede aufzugeben und zu ihnen zu ziehen. Statt Schwerter und Rüstungen wollten sie von nun an Sensen, Eggen und Pflüge schmieden, und Gunnar würde sich über fehlende Aufträge nicht beklagen können. Im weiten Umkreis wurden landwirtschaftliche Werkzeuge gebraucht, und Logans Vater genoss einen guten Ruf.
Doch es gab auch schmerzliche Nachrichten.
Logan stand auf, klopfte sich das Gras von der Hose und verstaute den Rest der Vesper in seinem Umhängebeutel. Dann ging er hinüber zum Friedhof.
Er mochte Friedhöfe, das war schon immer so gewesen. Für ihn waren es Orte voller Geschichten. Spannende, aufregende, aber auch traurige Geschichten. Geschichten von Streit und Versöhnung, von zerbrochenen Herzen und wiedergefundener Liebe. Eine dieser Geschichten hatte ihn besonders berührt. Sein Blick fiel auf ein Doppelgrab, auf dem ein paar frische Feldblumen lagen. Der Grabstein war aus Sandstein gehauen und hatte die Form eines Liebespaares, das engumschlungen beisammensaß. Am Fußende war ein Schriftzug eingemeißelt: Numquam perit amor – die Liebe stirbt nie.
Ben hatte den letzten Winter nicht überlebt. Er war vierundachtzig Jahre alt und seit einiger Zeit schwer krank gewesen. Und weil Magda nicht allein bleiben wollte, war sie ihm freiwillig gefolgt. Logan wusste nicht viel über die beiden, nur das, was die anderen ihm erzählt hatten. Doch was er gehört hatte, reichte aus, um ihn an so etwas wie Schicksal glauben zu lassen. Es war eine Geschichte, die jeden mit Ehrfurcht erfüllte, eine Geschichte, die das Zeug hatte, zur Legende zu werden. Auch Junas Vater war hier beerdigt, und auch er hatte einen wunderschönen Grabstein bekommen. Der Friedhof lag nicht weit von der Straße entfernt, die nach Glânmor führte. Es war eine gute Stunde bis zur Hauptstadt der Frauen, wo Juna und David wohnten. Arkana war vom Hohen Rat erneut als Hohepriesterin bestätigt worden, und Noreia führte dort wieder den Vorsitz. Was aus Edana geworden war, wusste man nicht. Manche sagten, sie sei gefallen, andere behaupteten, sie sei von den Bleichen verschleppt worden. Manch einer erzählte, er habe sie gesehen, wie sie blind und verrückt auf der Straße umhergeisterte, die zur alten Stadt führte. Logan interessierte es nicht besonders, was die Leute erzählten. Er hielt sich lieber an Tatsachen. Und Tatsache war, dass er das Feld heute noch umpflügen musste. Also entbot er den dreien auf dem Friedhof den traditionellen Gruß des Clans vom steinernen Turm und machte sich auf den Weg, das Pferd einzufangen.
Er hatte gerade seine Hand auf den Hals des Tieres gelegt, als er vom Tal her ein Fahrzeug die Straße heraufkommen sah. Ein schlichtes Fuhrwerk aus Holz mit vier Rädern und Eisenbeschlägen, gezogen von einem kräftig gebauten Pferd. Die Ladefläche war voll mit Heu, und auch einige Fässer befanden sich darauf. Auf dem Kutschbock saß eine Frau, gekleidet in ein blaues Kleid, das mit einem bunt gestickten Gürtel zusammengehalten wurde. Neben ihr auf dem Kutschbock schliefen eine rothaarige Katze und ein kleines Mädchen. Das Kind trug eine Mütze, und sein Köpfchen war leicht zur Seite geneigt. Seit es vor einem Monat laufen gelernt hatte, wollte es überall mit dabei sein.
Die Frau lenkte das Fuhrwerk den Hang hinauf, und ihre schwarzen Haare flatterten im Wind. Als sie Logan sah, hob sie die Hand und winkte. Logan winkte zurück. Er spürte, wie sein Herz pochte.
»Na, was meinst du?«, flüsterte er seinem Pferd ins Ohr. »Wollen wir die Arbeit für heute ruhen lassen und Gwen und Rosalie ins Dorf begleiten? Den Acker können wir auch morgen noch zu Ende pflügen. Was, du bist einverstanden? Dann werden wir es genau so machen.« Und mit diesen Worten schwang er sich auf den Rücken des Pferdes und ritt zu den beiden hinüber.
Über Thomas Thiemeyer
Thomas Thiemeyer, geboren 1963, lebt in Stuttgart und arbeitete zunächst als Illustrator. Nach fünf rasanten mystischen Wissenschaftsthrillern – zuletzt »Korona« –, entdeckte er mit den »Chroniken der Weltensucher« höchst erfolgreich das Jugendbuch für sich.
Mit »Das verbotene Eden – David und Juna« begann ein neuer großer Zyklus, der in einer bedrohlichen Zukunft spielt. Nach »Logan und Gwen« ist nun »Magda und Ben« der abschließende Band.
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