Das verbotene Glück der anderen
sie darauf beharrt, dass ihr Junge bei ihnen lebt. Außerdem leuchtet das Leben in ihren Augen. Sie wirken nicht wie Eltern, die ihr Kind verloren haben.
Abends kommt er wieder, doch das Haus sieht ihn nicht mehr. Die Tür geht nicht auf, und das Ehepaar tritt nicht in Erscheinung. Er klingelt ein paarmal, aber keiner macht auf. Er hört Lebenszeichen im Haus, doch die Pillais haben beschlossen, ihn nicht zu beachten.
~
Ousep befindet sich direkt im Blickfeld all der Frauen, die auf den Balkonen stehen und ihren Männern zum Abschied winken. Er steht gegenüber von Wohnblock A, auf der anderen Straßenseite, und raucht zwei Zigaretten auf einmal. Abermals blickt er die ganze Balaji Lane nach links hinunter. Der Wagen muss jeden Moment am Ende der Straße auftauchen.
Männer auf Vespas fahren hintereinander aus dem Gebäudekomplex und werfen ihm kalte Blicke zu. Manche Frauen verschwinden von den Balkonen, andere tauchen auf und murmeln Gebete. Überraschenderweise steht Mariamma auf ihrem Balkon. Sie zerrt seine Hemden von der Leine, lieblos, wie es scheint. Dann sieht sie ihn und ist natürlich verblüfft. Noch nie hat sie Ousep ruhig auf der Straße stehen sehen. Sie verschwindet nach drinnen, beobachtet ihn aber vermutlich durch einen Spalt zwischen den Vorhängen.
Er sieht eine Frau auf sich zukommen; sie hat einen leeren Korb in der Hand und geht langsam an ihm vorbei. Sie geht zum Gemüsemarkt. Er ist außerstande, den Blick von dieser dicklichen, unauffälligen, asexuellen Frau abzuwenden, und weiß nicht, warum. Ihr Gesicht ist ruhig und ihr Blick leer, was ihn an die große Ruhe des Scheiterns erinnert, an den Frieden, der eintritt, wenn man einfach aufgibt.
Als der Wagen endlich auftaucht, weiß er nicht genau, ob es derjenige ist, auf den er gewartet hat. Der Mann hatte gesagt, der Wagen sei schwarz, und dieser Wagen ist schwarz, aber auch erstaunlich großartig und obszön. So einen Wagen, der jetzt wie aus einer anderen Zeit auf ihn zufährt, hat er noch nie gesehen. Eine Vespa, die in dieselbe Richtung fährt, schwenkt an den Straßenrandund bleibt stehen, wohl weil die Fahrbahn zu schmal für beide Fahrzeuge ist und die Vespa ihre Unterlegenheit akzeptiert hat. Als der Wagen an der Vespa vorbeifährt, kippt der Vespafahrer sein Gefährt nach links, wie ein Hund, der gleich uriniert. Die Wächter aus den anderen Wohnblocks kommen auf die Straße gerannt und starren auf das Wagenheck. Einer von ihnen salutiert. Der Wagen hält neben Ousep. Der Wächter von Wohnblock A, der eine billige Militäruniform trägt, zeigt mit dem Finger auf das Lenkrad und lacht leicht verwirrt. Sein Lachen wirkt wie eine Art Kummer. Er hat noch nie eine Linkssteuerung gesehen und wusste nicht, dass so ein sinnloses Kunststück überhaupt möglich ist. Ousep wirft seine Zigaretten weg und setzt sich auf den Rücksitz. Im Wagen riecht es nach einem anderen Land, und in gewisser Hinsicht trifft das zu. Krishnamurthy Iyengar wirkt auf dem Rücksitz kleiner als in Ouseps Vorstellung. Wie zuvor trägt er ein übergroßes Hemd und Manschettenknöpfe, die Silbermedaillen haften am dritten Knopf, und acht Füllfederhalter und eine winzige schwarze Taschenlampe stecken in seiner Brusttasche.
«Ein Geschenk meines Sohnes», sagt Iyengar. «Es hat ein Jahr gedauert, bis der Wagen aus Amerika hier ankam. Es ist ein Chevrolet Cavalier.»
«Ich habe noch nie in so was gesessen.»
«Ich habe nur diesen einen Wagen, Ousep. Ich fahre ihn nicht, um Sie zu erschrecken.»
«Ihr Anruf hat mich überrascht.»
«Und Sie wollen natürlich wissen, warum ich Sie angerufen habe», sagt Iyengar, doch dann sagt er eine Weile nichts. Als der alte Mann heute früh anrief, hatte er zwischendurch hustend gesagt: «Hegen Sie keinerlei Erwartungen, ich möchte Sie nur sehen, mehr nicht.»
Der Wagen verlässt die Balaji Lane und fährt zur Arcot Road.Die ganze Fahrt über starren die Leute den Chevrolet an, als sei er gleichzeitig ein Feind und eine schöne Frau, was gewissermaßen dasselbe ist. «Ich wollte Sie schon die ganze Woche anrufen», sagt Iyengar. «Dann kam ich zu der Überzeugung, dass ich Sie jetzt treffen musste, wenn ich Sie noch einmal sehen wollte. Jetzt heißt heute, heute Vormittag. Weil ich nämlich zum Flughafen fahre.»
Der alte Mann versinkt erneut in behagliches Schweigen, weshalb Ousep sagt: «Ich verstehe den Zusammenhang nicht.»
«Ich gehe nach Amerika», erklärt Iyengar. «Ich halte einen Vortrag an der
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