Das verbotene Land 1 - Die Herrscherin der Drachen
davon.
Drakonas sah dem Vertrauten des Königs nach, bis dieser sein Pferd bestiegen hatte und durch den Rauch der Mühle davongeritten war. Das Feuer war offenbar inzwischen gelöscht, denn man sah keine Flammen mehr, und auch der Rauch begann, sich zu verziehen. Die Dorfbewohner würden noch um die Überreste der Mühle versammelt sein und nach der Aufregung des Löschens allmählich verzweifelte Ernüchterung verspüren. Bald würde die Hebamme bei ihnen sein, wenn sie es nicht jetzt schon war. Sie würde ihre Geschichte hinausschreien, und die Leute würden sie ungläubig anstarren. Dann würde sie bei allem, was ihr heilig war, schwören, und irgendwann würden ihr immer mehr Dorfbewohner Glauben schenken. Und schließlich würden sie kommen, um es selbst zu sehen.
Bellona hatte sich noch nicht von der Stelle gerührt. Mit Melisande im Arm saß sie auf dem Bett und betrachtete das stille, blasse Gesicht, das im Tod so gelassen wirkte. Ihre blutige Hand strich die blonden Haare glatt.
»Ihr müsst das Baby nehmen und verschwinden«, mahnte Drakonas.
Bellona sah ihn nicht an. Falls sie ihn gehört hatte, zeigte sie es nicht.
»Ihr habt versprochen, dass Ihr für das Baby sorgen werdet«, erinnerte Drakonas sie mit absichtlich harter Stimme, als würde er ihr einen Eimer kaltes Wasser überschütten. »Wenn Ihr jetzt nicht geht, werden die Leute es finden und töten. Und uns wahrscheinlich gleich mit.«
Bellona starrte ihn an. »Es töten? Das Baby? Warum?«
Nach dem einen merkwürdigen Aufheulen war das Kind still geworden. Als Drakonas nun dieses zweite Baby unter dem Bett hervorzog, erinnerte er sich an Gundersons Worte. Es wäre besser gewesen, wenn sie beide tot wären. Er dachte auch an seine Erwiderung: Das könnt Ihr nicht wissen. Keiner von uns kann in die Zukunft blicken. Nun, das stimmte allerdings. Dennoch verzog er das Gesicht, als er nun das Kind unter dem Bett hervorholte und sah, wie stark und kräftig es war. Im Gegensatz zu seinem Bruder hatte dieses Baby seine Augen weit geöffnet. Blicklos starrte es ins Licht. Es schien auf der Hut zu sein.
»Seht her«, forderte Drakonas Bellona auf.
Sie sah hin, bot aber nicht an, das Kind zu nehmen.
In den blutigen Tüchern, die Drakonas über das Kind geworfen hatte, sah es ganz normal aus – abgesehen von den seltsam wissenden Augen. Der Kopf war mit flaumigen Haaren von undefinierbarer Farbe bedeckt. Es hielt die kleinen Fäustchen fest vor der Brust. Die geschwungenen Lippen waren verschlossen, als würde es nichts von der Welt erwarten und auch keine Forderungen stellen.
»Er sieht Melisande ähnlich«, meinte Bellona schließlich. »Mehr als der andere.« Sie wollte seine Wange berühren.
Da schlug Drakonas die Tücher zurück, um ihr das Kind nackt zu zeigen.
Entsetzt schrak Bellona zurück.
Von den Lenden aufwärts war das Kind ganz normal. Nach unten hingegen waren die Beine wie die Hinterläufe eines Tieres und mit silbrig blauen Schuppen überzogen. Die geschuppten Füße waren kleine Klauen.
»Er ist ihr Sohn«, erklärte Drakonas und hielt ihr das Baby hin. »Ihr habt Melisande versprochen, für ihn zu sorgen.«
»Er ist nicht ihr Sohn!«, rief Bellona. Voller Abscheu wandte sie den Blick ab. »Er ist ein Monstrum.«
»Er ist ihr Sohn«, wiederholte Drakonas ohne Gnade. »Auf dem Sterbebett habt Ihr ihr versprochen, Euch um ihn zu kümmern.«
Widerstrebend sah Bellona erneut zu dem Baby hin. »Das verstehe ich nicht«, sagte sie.
»An jenem Tag war sie mit Edward zusammen«, erläuterte Drakonas. »Keiner von ihnen hatte in dieser Hinsicht eine Wahl. Damals sollten sie einander lieben und ein Kind zeugen.«
»Das verstehe ich nicht«, stieß Bellona erneut aus, diesmal geradezu drohend.
Er reagierte nicht auf ihre Frage, sondern setzte seinen Bericht fort. »Der Erstgeborene ist das Kind von König Edward.«
»Und dieses hier?«
»Das erste Kind war geplant«, fuhr Drakonas fort. »Aber an jenem Abend kam noch ein Mann zu Melisande. Auch er wollte sie schwängern. Er hat Edward angegriffen und dachte, er hätte ihn umgebracht. Danach hat er Melisande vergewaltigt.«
»Ich weiß«, bestätigte Bellona. »Ich habe ihn gesehen. Ich …«
»Ihr habt ihn von hinten mit dem Schwert angegriffen. Er ließ Melisande fallen und drehte sich zu Euch um. Er hätte Euch getötet, aber etwas hielt ihn davon ab. Was war das?«
»Woher wisst Ihr das alles?« Voller Misstrauen starrte Bellona ihn an.
»Was hat ihn davon abgehalten,
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