Zug um Zug
Steinbrück: Das politisch beherrschende Thema dieser Monate ist – neben den Turbulenzen in der europäischen Wirtschaftsunion – die Lage und Perspektive der USA. Helmut, Sie waren jüngst in den USA – allerdings vor der Abstufung ihrer Bonität –, und mich interessiert sehr, welche Eindrücke Sie aus Ihren Gesprächen in New York und Washington mitgenommen haben. Wie schätzen Sie nach Ihrem Besuch die wirtschaftliche Situation, aber auch die politische, vor allen Dingen die innenpolitische Lage in den USA ein?
Schmidt: Ich war nicht in Washington, ich war nur in New York, konnte dort aber eine Reihe alter Freunde treffen, Henry Kissinger, George Shultz oder den früheren US-Finanzminister Robert Rubin. Mein Gesamteindruck ist ziemlich eindeutig, nämlich der einer nicht unerheblichen ökonomischen und innenpolitischen Unsicherheit. Hinzu kommt eine allgemeine Kriegsmüdigkeit in der öffentlichen Meinung der USA, die sich im Wesentlichen auf Afghanistan erstreckt. Die ökonomische Unsicherheit hat vor allem zu tun mit der relativ hohen Arbeitslosigkeit und der Aussichtslosigkeit, einen Job zu finden. Sie hat auch zu tun damit, dass viele Familien ihre Häuser verloren haben, die ihnen bis gestern als Eigentum gehörten, die sie aber als Pfand für ein Hypothekendarlehen zurückgeben mussten. Die innenpolitische Unsicherheit hängt zusammen mit der inneren Unsicherheit der Republikanischen Partei, die einerseits im Abgeordnetenhaus die Mehrheit stellt, andererseits aber schwankt zwischen bedingungsloser Opposition und begrenzter Kooperation mit der Regierung.
Steinbrück: Während in Europa das Parteiensystem sich eher entideologisiert hat, scheint sich das Parteiensystem der USA ideologisch eher weiter aufzuladen und zurückzufallen auf den Stand fundamentaler parteipolitischer Auseinandersetzungen, die wir in Europa eigentlich hinter uns haben. Ist der Eindruck richtig, dass das amerikanische demokratische System, das seit je auf eine Machtverteilung zwischen Zentralregierung und Einzelstaaten, Präsident und Kongress, Exekutive und Jurisdiktion angelegt ist und daher auf Kompromissfähigkeit setzt, zunehmend paralysiert ist und es immer schwieriger werden könnte, Entscheidungen in beiden Häusern des Kongresses durchzusetzen?
Schmidt: Peer, dass es paralysiert ist, scheint mir übertrieben. Es könnte sein, dass sich die Konzentration der Befugnisse auf die Person des Präsidenten, wie sie seit über zweihundert Jahren in der amerikanischen Verfassung festgeschrieben ist, in der modernen Welt als ein Risiko herausstellt. Ein amerikanischer Präsident soll zugleich Oberhaupt des Staates und Regierungschef sein, oder anders ausgedrückt, er soll nach innen und nach außen die Nation repräsentieren, zugleich aber als ein unter parteipolitischen Vorzeichen gewählter Regierungschef handeln.
Steinbrück: Diesen Webfehler müssten wir dann allerdings auch der Verfassung der Fünften Französischen Republik zuordnen.
Schmidt: Im Übrigen bin ich unsicher, ob Ihre Einschätzung, was die Polarisierung angeht, auf beide großen Parteien in Amerika zutrifft. Sie trifft ganz gewiss zu auf erhebliche Teile der Republikanischen Partei, wahrscheinlich weniger der Demokratischen Partei. Nach einem kurzen Besuch kann man sich allerdings nicht anmaßen, ein ausreichend begründetes Urteil zu fällen. Dennoch fiel mir auf, dass die Republikaner auf Polarisierung drängen. Zwar halten sie sich bis jetzt zurück, was die Frage nach dem Präsidentschaftskandidaten ihrer Partei angeht; bis zu den Wahlen sind es ja noch fast anderthalb Jahre. Aber es gibt natürlich schon sehr viele öffentliche Diskussionen über die in Betracht kommenden Personen. Einige haben sich schon bereit erklärt zu kandidieren, andere lassen die Frage zwar offen, geben aber gleichzeitig zu erkennen: Vielleicht wären sie bereit. Als ich dort war, feierte die frühere Gouverneurin von Alaska, Frau Palin, auf einer Tour durch die Ostküstenstaaten gerade einen enormen publizistischen Erfolg. Einige meiner Gesprächspartner waren der Ansicht, man müsse durchaus mit der Möglichkeit rechnen, dass Frau Palin als Kandidatin antritt.
Was die Außen- und Sicherheitspolitik angeht, hat der als Redner glänzende Obama große Erwartungen geweckt, die er aber mangels parlamentarischer Mehrheit und weil er sich an der Wirklichkeit der weltpolitischen Lage stößt, nur zu einem ganz kleinen Teil erfüllen kann. Für mich
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