Das Verlangen des Milliardaers - Band 1
Finger nie mehr lösen zu können.
„Dann wollen wir mal sehen“, beginnt sie und blättert in einem Aktenordner. „Die Assistentin unserer Chefnäherin ist gerade in den Mutterschaftsurlaub gegangen, und wir brauchen einen Ersatz. Was gefällt Ihnen an Mode?“
Diese Frage ist so unerwartet, dass ich ins Stottern gerate:
„Meine … Meine Mutter war Näherin. Ich habe ihr immer zugesehen, wenn sie mit Stoffen gearbeitet hat, und sie war mit einer solchen Leidenschaft bei der Sache, dass sie mich mit ihrer Begeisterung angesteckt hat. Und seit sie … gestorben ist, als ich zwölf war, denke ich an nichts anderes mehr.“
Warum erzähle ich ihr das? Das ist doch einfach nur lächerlich, und außerdem geht das niemanden etwas an. Nie im Leben bekomme ich die Stelle.
Cécile de Clève scheint von meiner Antwort etwas aus dem Konzept gebracht worden zu sein. Sie setzt die Befragung fort und möchte einige meiner Entwürfe sehen, die ich ihr natürlich sofort zeige. Nach einer halben Stunde steht sie auf und erklärt:
„Mademoiselle Arpad, wenn Sie einverstanden sind, können Sie morgen bei uns anfangen.“
Nein! Das kann nicht wahr sein. Ich fasse es nicht.
***
Alles ist wahnsinnig schnell gegangen! Vor Aufregung habe ich die ganze Nacht kein Auge zugetan.
Sandra stellt mir meine Chefin, Cerise Ballard vor, einer rundlichen Frau mit dunkelblonden Locken, deren Gesicht zur Hälfte von einer großen runden Brille verdeckt wird. Sie reicht mir eine schlaffe Hand und mustert mich von oben bis unten.
„Nennen Sie mich Cerise“, sagt sie kurz angebunden. „Lassen Sie mich Ihnen sagen, Mademoiselle, wir sind nicht hier, um Perlen aufzufädeln, sondern um die Werke des Maestros zu vervollkommnen.“
Der Maestro ist der Designer des Hauses: Juan Carlo Balestra, ein talentierter junger Spanier, dem das Haus Bogaert sein internationales Ansehen zu verdanken hat. Ich würde alles dafür geben, ihn kennenzulernen, aber das werde ich wahrscheinlich nie. Der Kontakt zu ihm und seinen Assistenten läuft über Cerise.
Die Atmosphäre ist spürbar angespannt. Cerise scheint mir gegenüber etwas Bitterkeit zu empfinden, aber ich verstehe nicht, warum.
„Was ist Ihr Spezialgebiet? Wir sind alle in dem einen oder anderen Bereich besonders gut“, fragt Cerise, nachdem sie mich ein paar Augenblicke lang gemustert hatte.
„Unterwäsche. Ich entwerfe und nähe meine eigenen Modelle.“
„In Ordnung. Gut zu wissen“.
Cerise führt mich durch das Atelier der Schneiderinnen, die auch „kleine Hände“ genannt werden, und macht mich mit dem Marketingteam bekannt. Ein rothaariger junger Mann mit starkem amerikanischen Akzent und leicht effeminiertem Gehabe stellt sich vor: „Mike Tucker, Marketingassistent.“ Irgendwie erinnert er mich an jemanden, aber ich komme nicht drauf. Dann zeigt mir Cerise ihr Büro und meins, das dem ihren direkt gegenüberliegt.
„Ah!“, fällt ihr plötzlich ein. „Sie müssen unbedingt um 14 Uhr wieder aus der Mittagspause zurück sein. Der Chef wird da sein. Er möchte, dass alle Mitarbeiter an der Sitzung teilnehmen. Das gilt also auch für Sie.“
Mein erster Tag, und ich werde direkt den Chef kennenlernen! Hilfe! Das ist zu viel Aufregung auf einmal. Aber ich möchte schon gerne wissen, wie er aussieht. Vielleicht klein und dick und glatzköpfig? Oder eher in Richtung romantischer Dandy, wie John Galliano?
Der Vormittag vergeht wie im Flug. Die Zeit reicht gerade aus, um mich mit den Modellen für die Winterkollektion vertraut zu machen, zu versuchen, mir die ganzen neuen Namen und Gesichter zu merken und mich nicht in diesem riesigen Labyrinth zu verlaufen, da ist es auch schon Mittag. Ich bin so erschlagen von diesen ganzen neuen Eindrücken, dass ich nicht mal Hunger habe. Stattdessen beschließe ich, ein bisschen über die Champs-Élysées zu bummeln und mir die Schaufenster anzuschauen. Plötzlich schaue ich auf die Uhr: ES IST 14 UHR! Ich komme zu spät zur Sitzung!
Verdammter Mist! Das kann doch nicht wahr sein, Lou. Gleich am ersten Tag zu spät kommen!
Als ich im Konferenzsaal ankomme, ist es bereits 20 nach 2. Mindestens 80 Personen sind anwesend, und alle haben sich schon mit Blick nach vorn hingesetzt. Ich schnappe mir rasch einen Stuhl neben dem Eingang und hoffe inbrünstig, dass niemand mein Zuspätkommen bemerkt hat. Aber in meiner Eile stolpere ich über einen Stuhl und falle fast hin. Ohne hochzuschauen weiß ich genau, dass sich alle Blicke auf mich
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