Das Verlorene Labyrinth
nicht Unrecht«, sagte Marie-Cécile gerade. »Was machst du hier drin?«
»Ich hab ... ich wollte mal was anderes lesen. Es war ... einsam hier, ohne dich.«
Alice verzog das Gesicht. Er klang alles andere als überzeugend. »Einsam?«, wiederholte sie. »Dein Gesicht sagt aber etwas ganz anderes, Will.«
Marie-Cécile beugte sich vor und küsste Will auf den Mund. Alice spürte die Verlegenheit in den Raum dringen. Es war unangenehm intim. Sie sah, dass Will die Hände zu Fäusten geballt hatte.
Er will nicht, dass ich das mitkriege.
Der Gedanke, so verwirrend er auch war, schoss ihr in Sekundenschnelle durch den Kopf.
Marie-Cécile ließ ihn los, mit einem Anflug von Genugtuung im Gesicht.
»Wir unterhalten uns später, Will. Aber jetzt müssen François- Baptiste und ich leider ein paar geschäftliche Dinge klären. Désolée. Wenn du uns also bitte allein lassen würdest.«
»Hier?«
Zu schnell. Zu offensichtlich.
Marie-Céciles Augen verengten sich. »Warum nicht hier?« »Nur so«, sagte er hastig.
» Maman. Il est déjà six heures.«
»)’arrive«, sagte sie, während sie Will weiter misstrauisch fixierte. »Mais, je ne ...«
»Va le chercher«, fauchte sie. Hol es.
Alice hörte François-Baptiste aus dem Zimmer stürmen, dann sah sie, wie Marie-Cécile Will die Arme um die Taille legte und ihn an sich zog. Ihre Fingernägel leuchteten rot auf dem Weiß seines T-Shirts. Sie wollte wegschauen, konnte aber den Blick nicht losreißen.
»Tiens«, sagte Marie-Cécile. »A bientôt.«
»Kommst du bald?«, fragte Will. Alice hörte die Panik in seiner Stimme, weil ihm klar war, dass er sie hier in der Falle zurücklassen musste.
»Toute à l'heure.« Später.
Alice konnte nichts tun. Musste hilflos mit anhören, wie sich Wills Schritte entfernten.
Die beiden Männer passierten einander an der Tür.
»Da«, sagte François-Baptiste und gab seiner Mutter eine Ausgabe von der Zeitung, in die Will zuvor so versunken gewesen war.
»Wie sind die so schnell an die Story gekommen?«
»Keine Ahnung«, sagte er verdrossen. »Authié, vermute ich.« Alice erstarrte. Derselbe Authié?
»Meinst du wirklich, François-Baptiste?«, fragte Marie-Cécile. »Naja, irgendwer muss ihnen den Tipp gegeben haben. Die Polizei hat am Dienstag Taucher in die Eure geschickt, genau an die richtige Stelle. Die wussten, wonach sie suchen. Überleg doch mal. Wer hat denn zuerst behauptet, dass es in Chartres eine undichte Stelle gibt? Authié. Hat er je Beweise dafür vorgelegt, dass Tavernier mit dem Journalisten gesprochen hat?« »Tavernier?«
»Der Mann im Fluss«, sagte er beißend.
»Ach ja, natürlich.« Marie-Cécile zündete sich eine Zigarette an. »Der Artikel erwähnt die Noublesso Véritable mit Namen.« »Authié selbst könnte ihn verraten haben.«
»Solange es nichts gibt, was Tavernier mit diesem Haus in Verbindung bringt, ist alles in Ordn ung«, sagte sie mit gelangweil tem Unterton. »Da gibt es doch nichts, oder?«
»Ich habe alles so gemacht, wie du gesagt hast.«
»Und hast du auch für Samstag alles vorbereitet?«
»Ja«, bestätigte er, »obwohl ich nicht weiß, warum wir uns ohne den Ring oder das Buch eigentlich die Mühe machen.«
Ein Lächeln huschte über Marie-Céciles rote Lippen. »Tja, weißt du, deshalb brauchen wir Authié ja noch, trotz deines offensichtlichen Misstrauens ihm gegenüber«, sagte sie glattzüngig. »Er sagt, dass er, oh Wunder, den Ring gefunden hat.«
»Warum, verdammt, hast du mir das nicht schon früher gesagt?«, fragte er wütend.
»Ich sag's dir jetzt«, stellte sie bloß fest. »Er behauptet, seine Männer hätten ihn gestern Abend im Hotelzimmer der Engländerin in Carcassonne gefunden.«
Alice merkte, wie ihre Haut eiskalt wurde. Das kann nicht sein. »Glaubst du, er lügt?«
»Sei kein Idiot, François-Baptiste«, blaffte sie ihn an. »Natürlich lügt er. Wenn Dr. Tanner ihn an sich genommen hätte, dann hätte Authié nicht vier Tage gebraucht, um ihn sich zu beschaffen. Außerdem habe ich seine Wohnung und sein Büro durchsuchen lassen.«
»Dann ...«
Sie schnitt ihm das Wort ab. »Wenn - wenn - Authié ihn tatsächlich hat, dann entweder von Biaus Großmutter oder aber er hatte ihn schon von Anfang an. Möglicherweise hat er ihn selbst in der Höhle eingesteckt.«
»Warum hätte er das tun sollen?«
Das Telefon klingelte, aufdringlich, laut. Alice blieb fast das Herz stehen.
Fran c ois-Baptiste sah seine Mutter an.
»Geh ran«, sagte
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