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Das Verlorene Labyrinth

Das Verlorene Labyrinth

Titel: Das Verlorene Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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ging Alice den Ablauf der Ereignisse durch.
    War es wirklich purer Zufall, dass sie sich über den Weg gelaufen waren? Sie hatte keiner Menschenseele erzählt, wohin sie wollte.
    Aber warum kommt er dann nicht?
    Inzwischen war es halb neun, und Alice beschloss, nicht länger zu warten. Sie erklärte an der Rezeption, dass sie nun doch kein Zimmer brauchen würde, hinterließ eine kurze Nachricht an Will zusammen mit ihrer Handy-Nummer, für den Fall, das er doch noch kam, und ging zum Auto.
    Als sie ihre Jacke auf den Beifahrersitz warf, fiel ihr Blick auf den Umschlag, der aus der Tasche lugte. Es war der Brief, den man ihr im Hotel gegeben und den sie komplett vergessen hatte. Sie zog ihn heraus und legte ihn aufs Armaturenbrett. Sie würde ihn lesen, wenn sie irgendwo Rast machte.
    Es wurde dunkel, als sie wieder Richtung Süden fuhr. Die Scheinwerfer der entgegenkommenden Autos blendeten sie. Bäume und Büsche hoben sich gespenstisch aus der Finsternis. Orléans, Poitiers, Bordeaux, die Schilder zischten vorbei. Eingesponnen in ihre eigene Welt, Stunde um Stunde, kaute Alice immer wieder dieselben Fragen durch. Und jedes Mal fiel ihr eine andere Antwort ein.
    Warum? Um Informationen zu bekommen! Und die hatte sie ihnen ja nun geradezu auf einem silbernen Tablett serviert. All ihre Notizen, ihre Zeichnungen, das Foto von Grâce Tanner und Baillard.
    Er hatte ihr die Kammer mit dem Labyrinth zeigen wollen. Gesehen hatte sie nichts. Bloß eine Abbildung in einem Buch. Alice schüttelte den Kopf. Sie wollte es einfach nicht glauben. Warum hatte er ihr geholfen, aus dem Haus zu kommen? Weil er das bekommen hatte, was er wollte, besser gesagt, was Madame de l'Oradore wollte.
    Damit sie dich verfolgen können.
     

Kapitel 56
Carcassona
     
    Agost 1209
     
    A m Montag, dem 3. August, griffen die Franzosen im Morgengrauen Sant-Vicens an.
    Alaïs hastete die Leitern des Tour du Major hinauf, um das Geschehen zusammen mit ihrem Vater von den Zinnen aus zu beobachten. Sie hielt im Gedränge nach Guilhem Ausschau, konnte ihn aber nicht entdecken.
    Plötzlich hörte sie über das Schwertergeklirr und Kampfgeschrei der auf die niedrigen Schutzmauern einstürmenden Soldaten hinweg Gesang vom Graveta-Berg herab über die Ebene hallen.
     
    »Venz creator spiritus.
    Ment es tuorum visita!«
     
    »Die Priester«, sagte Alaïs entsetzt. »Sie singen zu Gott, während sie versuchen, uns niederzumetzeln.«
    Die ersten Brände brachen in Sant-Vicens aus. Rauch ringelte sich in die Luft, und hinter den niedrigen Mauern stoben Mensch und Tier in Panik auseinander. Greifhaken wurden schneller über die Brustwehr geschleudert, als die Verteidiger sie wegschlagen konnten. Dutzende von Sturmleitern wurden an die Mauern gelehnt. Die Soldaten traten sie weg, zündeten sie an, doch manche blieben, wo sie waren. Französische Fußtruppen schwärmten herbei wie Ameisen. Je mehr zurückgeschlagen wurden, so schien es, desto mehr kamen nach.
    Am Fuße der Festungsanlage wurden auf beiden Seiten Verletzte und Tote übereinander gestapelt, wie Feuerholz. Mit jeder Stunde, die verging, wuchs die Zahl der Opfer.
    Die Kreuzfahrer brachten ein Katapult in Stellung und nahmen die Festung unter Beschuss. D ie Erschütterungen ließen Sant- Vicens bis in die Grundfesten erbeben, erbarmungslos und unnachgiebig hagelten Pfeile und Geschosse herab.
    Die ersten Mauern stürzten ein.
    »Sie sind durch«, schrie Alaïs. »Sie haben die Verteidigung durchbrochen ! «
    Vicomte Trencavel und seine Männer waren bereit. Schwerter und Streitäxte schwingend, ritten sie zu zweit oder dritt nebeneinander gegen die Belagerer an. Die mächtigen Hufe der Streitrösser trampelten alles nieder, was sich ihnen entgegenstellte. Unter ihren schweren Hufeisen zerplatzten Schädel wie Nussschalen, und Gliedmaßen wurden zu einer einzigen Masse von Haut und Blut und Knochen zermalmt. Straße für Straße tobte der Kampf durch den Vorort, näherte sich unaufhaltsam den Mauern der eigentlichen Cité. Alaïs sah eine Flut entsetzter Bewohner durch die Porte de Rodez in die Cité flüchten, um der brutalen Schlacht zu entkommen. Die Alten, die Gebrechlichen, Frauen und Kinder. Jeder körperlich gesunde Mann war bewaffnet und kämpfte Seite an Seite mit den Soldaten der Garnison. Die meisten wurden auf der Stelle erschlagen, denn ihre Keulen konnten gegen die Schwerter der Kreuzfahrer nichts ausrichten. Die Verteidiger kämpften tapfer, aber sie waren eins zu zehn in der Unterzahl.

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