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Das Verlorene Labyrinth

Das Verlorene Labyrinth

Titel: Das Verlorene Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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suchte. In einer Vitrine standen Bildbände über Chartres Seite an Seite mit Büchern über die Architektur und Sozialgeschichte der Stadt. Mit einem Auge auf die Tür, sah Alice atemlos zu, wie Will ein Buch mit einem erhaben geprägten Familienwappen auf dem Deckel herausnahm und es zum Tisch trug. Sie spähte ihm über die Schulter, während er die Seiten umblätterte. Hochglanzfarbfotos, alte Stadtkarten von Chartres und Zeichnungen huschten vorüber, bis Will das Kapitel fand, das er suchte.
    »Was ist das für ein Buch?«
    »Über das Haus der de l'Oradore. Dieses Haus«, sagte er. »Die Familie wohnt hier seit Hunderten von Jahren, seit seiner Erbauung. Es gibt Grundrisspläne und Aufrisszeichnungen von jedem Stockwerk.«
    Will blätterte hastig weiter, bis er die gesuchte Seite gefunden hatte. »Da«, sagte er und drehte das Buch herum, sodass sie besser sehen konnte. »Ist es das?«
    Alice stockte der Atem. »Mein Gott«, flüsterte sie.
    Es war eine perfekte Zeichnung ihres Labyrinths.
     
    Das Geräusch der Haustür, die ins Schloss fiel, ließ sie beide zusammenfahren.
    »Will, die Tür! Wir haben sie offen gelassen!«
    Sie hörte gedämpfte Stimmen in der Halle, ein Mann und eine Frau.
    »Die kommen hierher«, zischte sie.
    Will schob ihr das Buch in die Hände. »Schnell«, flüsterte er und zeigte auf ein großes Dreisitzersofa unter dem Fenster. »Ich mach das schon.«
    Alice schnappte sich ihren Rucksack, rannte zum Sofa und kroch in den Spalt zwischen Rückenlehne und Wand. Es roch durchdringend nach rissigem Leder und altem Zigarrenrauch, und der Staub kitzelte ihr in der Nase. Sie hörte, wie Will die Vitrine klappernd schloss und dann in die Mitte des Raumes trat, als sich auch schon die Tür quietschend öffnete.
    »Qu'est-ce que tu fais lä?«
    Als Alice leicht den Kopf neigte, konnte sie die Spiegelung der beiden Männer in der Glastür der Vitrine sehen. Der Neuankömmling war jung und groß, hatte etwa die gleiche Statur wie Will, nur erheblich knochiger. Schwarzes lockiges Haar, hohe Stirn und eine Patriziernase. Sie runzelte die Stirn. Er erinnerte sie an irgendwen.
    »Frangois-Baptiste. Hi«, sagte Will. Selbst Alice fand, dass seine Heiterkeit falsch klang.
    »Was zum Teufel machst du hier?«, wiederholte der andere. Will hielt die Illustrierte hoch, die er vom Tisch genommen hatte. »Wollte mir nur was zu lesen holen.«
    Fran c ois-Baptiste warf einen Blick auf das Titelblatt und stieß ein kurzes Lachen aus.
    »Das ist ja wohl kaum dein Geschmack.«
    »Du würdest dich wundern.«
    Der junge Mann machte einen Schritt auf Will zu. »Bald bist du hier weg«, sagte er mit leiser, gehässiger Stimme. »Bald hat sie die Nase voll von dir und schmeißt dich raus, wie alle anderen. Du hast nicht einmal gewusst, dass sie verreisen wollte, oder?« »Was zwischen deiner Mutter und mir vorgeht, hat dich nicht zu interessieren, wenn du mich also entschuldigst ...« Fran^ois-Baptiste stellte sich ihm in den Weg. »Warum so eilig?«
    »Provozier mich nicht, Fran^ois-Baptiste, ich warne dich.« Fran?ois-Baptiste legte Will eine Hand auf die Brust, um ihn aufzuhalten.
    Will stieß seinen Arm weg. »Fass mich nicht an.«
    »Und was willst du dagegen tun?«
    »Ça suffit.«
    Beide Männer fuhren herum. Alice versuchte etwas von der Frau zu erkennen, aber sie war noch nicht weit genug im Zimmer. »Was ist hier los?«, wollte sie wissen. »Warum zankt ihr euch wie kleine Jungs? François-Baptiste? William?«
    »Rien, maman. Je lui demandais ...«
    Will blickte verblüfft, als ihm klar wurde, wer da zusammen mit François-Baptiste ins Haus gekommen war. »Marie-Cécile. Ich hatte keine Ahnung ...«Er zauderte. »Ich hab dich nicht so früh zurückerwartet.«
    Die Frau trat weiter ins Zimmer, und jetzt konnte Alice ihr Gesicht sehen.
    Das kann nicht sein.
    Heute trug sie einen knielangen ockerfarbenen Rock mit passendem Blazer und war eleganter gekleidet als beim letzten Mal, als Alice sie gesehen hatte. Das Haar war nicht mit einem Tuch zurückgebunden, sondern fiel ihr locker ums Gesicht.
    Aber ein Irrtum war ausgeschlossen. Es war dieselbe Frau, die Alice vor dem Hôtel de la Cité in Carcassonne gesehen hatte. Das war Marie-Cécile de l'Oradore.
    Sie blickte von Mutter zu Sohn. Die Ähnlichkeit war unübersehbar. Das gleiche Profil, das gleiche herrische Auftreten. Der Grund für François-Baptistes Feindseligkeit zwischen ihm und Will war durchaus erklärlich.
    »Aber weißt du, was, mein Sohn hat

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