Das Verlorene Labyrinth
Er hielt inne. »Das wird jedoch teurer als bisher. Selbst in so unruhigen Zeiten wie diesen ist das Risiko erheblich höher. Vicomte Tren cavels escrivain. Er ist ein Mann von Rang.«
»Dessen bin ich mir durchaus bewusst«, fauchte sie mit kalter Stimme. »Wie viel?«
»Dreimal so viel wie für Raoul«, erwiderte er. »Ausgeschlossen!«, entgegnete sie. »So viel Gold kann ich unmöglich auftreiben.«
»Dennoch, Herrin, das ist mein Preis.«
»Und das Buch?«
Diesmal lächelte er richtig. »Das ist Verhandlungssache, Herrin«, sagte er.
Kapitel 57
D er Beschuss setzte erneut ein und dauerte bis tief in die Nacht. Ein stetiges Donnern von Geschossen - Felsbrocken und Steine -, die Staubwolken aufwirbelten, wenn sie aufschlugen.
Aus ihrem Fenster konnte Alaïs sehen, dass die Häuser und Hütten auf der Ebene in eine rauchende Wüste verwandelt worden waren. Eine bedrohliche Wolke hing über den Baumwipfeln wie schwarzer Dunst, als hätte sie sich in den Ästen verfangen. Einige Bewohner hatten es über das offene Gelände bis in die Trümmer von Sant-Vicens geschafft und sich von dort aus in die Cité geflüchtet. Doch die meisten waren bei der Flucht erschlagen worden.
In der Kapelle brannten Kerzen auf dem Altar.
Am Dienstag, dem 4. August, stiegen Vicomte Trencavel und Bertrand Pelletier im Morgengrauen erneut auf die gewaltige Festungsmauer.
Das französische Lager war in den Dunst gehüllt, der vom Fluss aufstieg. Zelte, Stallungen, Tiere, Pavillons, eine ganze Stadt schien dort erstanden zu sein. Pelletier schaute nach oben. Es würde wieder ein sengend heißer Tag werden. Der Verlust des Flusses gleich zu Beginn der Belagerung war ein verheerender Schlag. Ohne Wasser konnten sie nicht lange Widerstand leisten. Der Durst würde sie besiegen, auch wenn es den Franzosen nicht gelang.
Gestern hatte Alaïs ihm von dem Gerücht erzählt, dass in dem quartier um die Porte de Rodez, wo die meisten Flüchtlinge von Sant-Vicens untergekommen waren, der erste Fall von Ruhr aufgetreten war. Er hatte sich persönlich vor Ort begeben, um der Sache nachzugehen, und der Consul des quartier hatte alles abgestritten. Dennoch fürchtete er, dass Alaïs Recht hatte.
»Ihr seid tief in Gedanken, mein Freund.«
Bertrand wandte sich seinem Herrn zu. »Verzeiht, Messire.« Trencavel tat seine Entschuldigung mit einem Winken ab. »Seht sie Euch an, Bertrand! Es sind einfach zu viele. Wir können sie unmöglich besiegen ... schon gar nicht ohne Wasser.«
»Pedro II. von Aragon ist angeblich nur einen Tagesritt entfernt«, sagte Pelletier. »Ihr seid sein Vasall, Messire. Er muss Euch zu Hilfe kommen.«
Pelletier wusste, dass eine solche Bitte auf Widerstand stoßen würde - König Pedro war ein treuer Katholik und zudem der Schwager von Raymond VI., dem Comte von Toulouse, doch auch wenn die beiden Männer nichts füreinander übrig hatten, die historischen Bande zwischen dem Haus Trencavel und dem Haus Aragon waren stark.
»Die diplomatischen Ziele des Königs sind eng mit dem Schicksal von Carcassona verknüpft, Messire. Es würde ihm nicht gefallen, wenn das Pays d'Oc den Franzosen in die Hände fiele.« Er hielt inne. »Pierre-Roger de Cabaret und Eure Verbündeten befürworten ein solches Vorgehen.«
Trencavel legte die Hände vor sich auf die Mauerzinne.
»Das haben sie gesagt, ja.«
»Dann werdet Ihr ihm eine Botschaft senden?«
Pedro folgte dem Ruf und traf am späten Mittwochnachmittag des 5. August ein.
»Öffnet die Tore! Öffnet die Tore für lo Rè i!«
Die Tore des Chateau Comtal wurden aufgestoßen. Als Alaïs den Lärm hörte, warf sie einen kurzen Blick aus dem Fenster und lief dann rasch nach unten. Zunächst wollte sie sich nur erkundigen, was denn los sei, doch als sie hinauf zu den Fenstern des Großen Saals blickte, übermannte sie die Neugier, und sie wollte unbedingt wissen, was im Innern vor sich ging. Zu häufig erfuhr sie Neuigkeiten erst aus dritter oder vierter Hand.
Es gab eine kleine Nische hinter den Vorhängen, die den Großen Saal vom Eingang zu den persönlichen Räumen des Vicomte trennten. Als Kind hatte Alaïs sich öfter dort versteckt und ihren Vater bei der Arbeit belauscht. Sie wusste nicht einmal, ob sie überhaupt noch in die schmale Lücke passte.
Alaïs stieg auf die Steinbank und griff nach dem niedrigsten Fenster des Tour Pinte, das den Cour du Midi überblickte. Sie hievte sich hoch, rutschte über den steinernen Sims und quetschte sich durch die
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