Das Verlorene Labyrinth
enge Öffnung.
Sie hatte Glück. Der Raum war leer. Alaïs sprang so leise sie konnte auf den Boden, öffnete behutsam die Tür und schlüpfte in die Nische hinter dem Vorhang. Sie schob sich dicht an den Spalt und war jetzt dem Vicomte Trencavel, der mit auf dem Rücken verschränkten Händen im Saal stand, so nahe, dass sie ihn hätte berühren können, wenn sie den Arm ausgestreckt hätte. Sie war gerade noch rechtzeitig gekommen. Am anderen Ende des Großen Saals wurden die Türen aufgestoßen. Sie sah ihren Vater hereingeeilt kommen, gefolgt vom König von Aragon und einigen Verbündeten Carcassonnes, darunter auch die seigneurs von Lavaur und Cabaret.
Vicomte Trencavel fiel vor seinem Lehnsherrn auf die Knie. »Das ist nicht nötig«, sagte Pedro und bat ihn, sich zu erheben. Äußerlich hätten die beiden Männer kaum unterschiedlicher sein können. Der König war viele Jahre älter als Trencavel, etwa im Alter ihres Vaters. Er war groß und breit gebaut, ein bulliger Mann, und sein Antlitz trug die Spuren vieler Schlachten. Seine Gesichtszüge waren schwer und düster, was durch den dichten schwarzen Schnurrbart auf der dunklen Haut noch betont wurde. Sein Haar war zwar noch tiefschwarz, ergraute aber wie bei ihrem Vater bereits an den Schläfen.
»Bittet Eure Männer sich zurückzuziehen«, sagte er barsch. »Ich möchte unter vier Augen mit Euch reden, Trencavel.«
»Mit Eurer gütigen Erlaubnis, Sire, möchte ich bitten, dass mein Intendant verweilen darf. Ich schätze seinen Rat.«
Der König zögerte kurz und nickte dann.
»Mir fehlen die Worte, um Euch unseren Dank angemessen ...« Pedro unterbrach ihn. »Ich bin nicht gekommen, um Euch beizustehen, sondern um Euch Eure Verfehlungen vor Augen zu führen. Ihr habt Euch Eure Lage selbst zuzuschreiben, weil Ihr Euch halsstarrig geweigert habt, gegen die Häretiker in Eurem Gebiet einzuschreiten. Ihr hattet vier Jahre - vier Jahre - Zeit, die Angelegenheit aus der Welt zu schaffen, und doch habt Ihr nichts unternommen. Ihr erlaubt den katharischen Bischöfen, offen in Euren Dörfern und Städten zu predigen. Eure Vasallen unterstützen die Bons Homes unverhohlen ...«
»Kein Vasall ...«
»Wollt Ihr bestreiten, dass Angriffe auf heilige Männer und Priester ungestraft geblieben sind? Wollt Ihr die Demütigungen der Männer der Kirche leugnen? In Eurem Herrschaftsgebiet üben die Häretiker ihren Glauben ungehindert aus. Eure Verbündeten gewähren ihnen Schutz. Es ist allgemein bekannt, dass der Comte von Foix die Heiligen Reliquien mit seiner Weigerung, sich vor ihnen zu verbeugen, beleidigt, und seine Schwester hat sich so weit aus dem Zustand der göttlichen Gnade entfernt, dass sie ihr Gelübde als parfaite abgelegt hat, eine Zeremonie, an der der Comte noch dazu teilgenommen hat.« »Ich kann nicht für den Comte von Foix sprechen.«
»Er ist Euer Vasall und Euer Verbündeter«, schleuderte Pedro ihm entgegen. »Wieso habt Ihr zugelassen, dass diese Zustände solche Blüten treiben?«
Alaïs spürte, wie der Vicomte tief durchatmete. »Sire, Ihr beantwortet Eure eigene Frage. Wir leben Seite an Seite mit den Menschen, die Ihr Häretiker nennt. Wir sind zusammen aufgewachsen, mit vielen von ihnen verwandt. Die parfaits haben ein gutes und ehrbares Leben geführt und sich um eine stetig wachsende Anhängerschar gekümmert. Ich kann sie ebenso wenig vertreiben, wie ich das tägliche Aufgehen der Sonne verhindern kann.«
Seine Worte stießen bei Pedro auf taube Ohren. »Eure einzige Hoffnung ist die Versöhnung mit der Heiligen Mutter Kirche. Ihr seid jedem der Adeligen aus dem Norden gleichgestellt, die den Abt begleiten, und sie werden Euch als Gleichgestellten behandeln, wenn Ihr gewillt seid, Eure Fehler wieder gutzumachen. Aber wenn Ihr ihm auch nur den geringsten Grund zu der Annahme gebt, dass auch Ihr diesen häretischen Gedanken anhängt, in Eurem Herzen, wenn auch nicht durch Eure Taten, dann wird er Euch vernichten.« Der König seufzte. »Glaubt Ihr wirklich, Ihr könnt dem Feind widerstehen, Trencavel? Ihr seid ihm eins zu hundert unterlegen.«
»Wir haben reichlich Nahrungsvorräte.«
»Nahrung ja, aber kein Wasser. Ihr habt den Fluss verloren.« Alaïs sah, dass ihr Vater dem Vicomte einen Blick zuwarf, weil er offensichtlich fürchtete, sein Herr könnte die Beherrschung verlieren.
»Es ist nicht mein Wunsch, Euch die Stirn zu bieten oder Euer Vermittlungsangebot auszuschlagen, aber seht Ihr denn nicht, dass es ihnen um unser
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