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Das verlorene Observatorium

Das verlorene Observatorium

Titel: Das verlorene Observatorium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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verschlossenen Türen auf unseren Klosettbrillen und grübelten. Wir aßen weniger. Hätte die Woche länger gedauert als eine Woche, wir wären alle merklich dünner geworden.
    Vor der Ankunft des neuen Bewohners herrschte Stillstand. Jahr war auf Jahr gefolgt, und wir konnten keinen Unterschied zwischen ihnen erkennen. Sicher, wir wurden älter, aber da wir uns jeden Tag sahen, hatten wir alle (als hätten wir es so verabredet) die spezifischen Veränderungen des Alterwerdens nicht bemerkt oder zumindest so getan. Mit unserem Zuhause verhielt es sich ganz anders. Es ist sehr wahrscheinlich, daß sich viele von uns des langsamen, aber sicheren Zerfalls des Hauses nur zu bewußt waren, auf jeder Etage hatten sich große Stücke der allgegenwärtigen blauweißen Tapete von den Wanden gelöst, die Teppichböden waren zerschlissen und voller Löcher, und das Treppengeländer auf der obersten Etage, wo sich die billigeren, kleineren Wohnungen befanden, war bereits kollabiert. Die Sanitäranlagen funktionierten nur sporadisch. Häufig fiel der Strom aus.
    Wir, die Bewohner des Observatoriums, waren eine kleine, ganz eigene Gruppe von Menschen. Gruppe ist vielleicht das falsche Wort, da unsere Zusammengehörigkeit allein auf der Tatsache beruhte, daß wir im selben Gebäude lebten. Oder vielleicht waren wir uns auch ähnlich geworden, weil wir so lange in Einsamkeit lebten, denn je länger Menschen allein sind, desto schwieriger werden sie. Wie merkwürdig Menschen doch sind, die sich, sobald sie ein gewisses Alter überschritten haben, in jeder Richtung blockiert sehen, diese Menschen, die überzeugt sind, keine Arbeit mehr zu finden, diese Menschen, die allein leben. Und natürlich verbringen sie ihre gesamte Zeit damit, herauszufinden, wie sie zurechtkommen können, oder sie denken über ihre Vergangenheit nach, wobei sie jedoch nur sich selbst haben, mit dem sie sich in Erinnerungen ergehen können. Und wie langweilig es ist, wie schmerzhaft, wenn Tag für Tag immer nur ihr eigenes Spiegelbild im Spiegel auftaucht. Wie sehr sie sich danach sehnen, von sich selbst wegzukommen, nicht einfach nur, aus sich herauszugehen, sondern aus ihrer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu entkommen, kurz, für immer alles hinter sich zu lassen, was irgend etwas mit ihnen zu tun hat. Aber ich stellte mir diese Menschen gern als reine Menschen vor, als konzentrierte Menschen oder, um es anders auszudrücken, so wie ganz alltägliche Menschen sein würden, wenn man sie befreite von Arbeit, Freunden, Familie und all den anderen Dingen, die man im Leben eben so macht und von denen es heißt, dass wir daran teilhaben sollten. Diese Menschen sind obsessiv; manchmal ist es leicht, sie zu erkennen, andere Male wieder nicht. Sieht man sie in der Stadt, bringt einen ihre Verschrobenheit bisweilen zum Lachen, häufiger jedoch fühlt man sich erbärmlich. Sie sind ein seltener Menschenschlag, bizarre Wesen, die finsteren Märchen entsprungen zu sein scheinen, doch sie sind Wirklichkeit, sie sind unterwegs, man kann sie unter den Coca-Cola-Reklamen in den Städten finden, neben den Ständern der Abendzeitungen, sie warten mit uns anderen darauf, daß die Ampel grün wird. Wir sieben aus dem Observatorium waren ein wenig so.
Wir sieben
    Seit Jahren waren wir gewohnt, daß Bewohner auszogen. Entweder packten Bewohner ihre Sachen und gingen, oder sie starben in ihren Wohnungen und wurden weggebracht. Nach ihrem Weggang blieben die Wohnungen leer und mit jeder Räumung wirkte unser Zuhause größer und größer. Es war uns allen sehr wohl bewußt, daß der Marktwert unserer Wohnungen, so gut sie einst gewesen sein mochten, ständig gesunken war und daß wir wohl kaum einen Käufer finden würden, sollten wir uns zum Verkauf entschließen.
    Das Observatorium war für vierundzwanzig Familien ausgelegt, aber unmittelbar vor der Ankunft des neuen Bewohners wohnten nur sieben Personen dort. Man ging davon aus, daß diese Zahl wahrscheinlich weiter abnahm, eine Zunahme galt als höchst unwahrscheinlich. Sorgen machten wir uns ausschließlich darum, der letzte zu sein, der übrigblieb. Allein in unserem riesigen Zuhause zu leben, durch all die leeren Wohnungen zu streifen, das war nichts, worauf man sich freuen konnte. Auch wenn wir zusammen nicht glücklich waren, auch wenn wir nur sporadisch freundschaftlich miteinander verkehrten, auch wenn viele von uns praktisch in völliger Einsamkeit lebten, ließ sich doch ein gewisser Trost aus der Tatsache ziehen,

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