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Das Vermächtnis der Eszter

Das Vermächtnis der Eszter

Titel: Das Vermächtnis der Eszter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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sandige hintere Teil des Gartens für Mandelbäume geeignet sei. Vater ergriff die Möglichkeiten des Lebens nicht, und Außenstehende konnten denken, er sei es, dem das bescheidene Familienvermögen zwischen den Fingern zerrann. Doch nach seinem Tod wurde uns bewußt, daß er auf seine wortlose, mimosenhafte Art seine wenigen Angelegenheiten in Ordnung gehalten hatte: Nicht er hatte die Hypothek aufgenommen, sondern Mama, auf Bitten von Lajos, und Vater hatte den Garten für uns bewahrt, er war es, der sich bis zum letzten Augenblick weigerte wegzuziehen. Und als Nunu und ich allein geblieben waren, mußten wir uns eben in dem Garten einrichten, den Vater angelegt hatte. Das Haus ließen wir neu verputzen, was wir Endre zu verdanken hatten, da er auf das Erbe ein günstiges Darlehen beschaffen konnte. Das alles geschah ohne Planung, ohne besondere Absicht oder Zielsetzung. Eines Tages merkten wir, daß wir ein Dach über dem Kopf hatten, daß wir hin und wieder etwas Stoff für ein Kleid kaufen konnten, daß wir von Laci Bücher geliehen bekamen und daß die Einsamkeit, in die wir uns unerbittlich wie verwundete Tiere zurückgezogen hatten, sich aufgelöst hatte: Schon waren auch Freunde um uns, sonntags hallte das Haus von lauten Männergesprächen wider, man hatte uns in der Welt einen Platz zugeteilt, in der Vorstellung der Menschen gab es einen Winkel, in dem wir ungestört unser Leben fristen durften. Nichts war so hoffnungslos und unerträglich, wie ich geglaubt hatte. Unser Leben füllte sich allmählich auf: mit Freunden, ja, wir hatten sogar schon Feinde, zum Beispiel Tibors Mutter und Endres Frau, die beide grundlos und lächerlich eifersüchtig waren, wenn der Sohn beziehungsweise der Ehemann in unser Haus kamen. Manchmal war dieses Leben in Haus und Garten schon fast wie ein wirkliches Leben, das Ziele, Aufgaben, Inhalte hat. Nur hatte es keinerlei Sinn; es konnte noch jahrzehntelang so weitergehen, aber ich hätte mich nicht widersetzt, wenn man mir befohlen hätte, von heute auf morgen damit aufzuhören. Es war ein glattes, gefahrloses Leben. Lajos hingegen hielt es mit Nietzsche, der uns zum gefährlichen Leben auffordert. Lajos selbst hatte Angst vor der Gefahr: Zu seinen Abenteuern, zu den politischen wie zu den emotionalen, zog er mit großen Sprüchen aus, aber auch mit geheimen Waffen, mit vorbereiteten Lügen, mit warmer Unterwäsche, mit kosmetischen Hilfsmitteln und den belastenden Briefen seiner Gegner in der Tasche. Mein Leben aber war eine Zeitlang tatsächlich »gefährlich« gewesen, in Lajos’ Nähe nämlich. Als die Gefahr vorüber war, merkte ich, daß an ihrer Stelle nichts geblieben war, daß diese Gefahr dem Leben seinen einzigen, wahren Sinn gegeben hatte.

8

    Ich ging ins Haus, stellte die Dahlien in die Vasen und setzte mich zu meinen Gästen auf die Veranda. Laci kommt jeden Sonntag zum Frühstück zu uns. Wir decken für ihn eigens auf der Veranda oder, bei schlechtem Wetter, im ehemaligen Kinderzimmer, das wir als Salon benutzen. Wir holen die alten Tassen und das englische Silber hervor, und er gießt sich die Sahne aus dem Silberkännchen ein, das er vor zweiundfünfzig Jahren zu seiner Taufe bekommen hat, von einer eifrigen Verwandten mit bescheidenem Geschmack. In sein Glas ist mit Zierschrift sein Name graviert. Auf der Veranda saßen sie also, Tibor rauchte eine Zigarre und blickte verlegen in den Garten, Laci griff kräftig zu, wie damals, als Junge. Er möchte dieses sonntägliche Frühstück um keinen Preis missen, und es scheint bei ihm die Regungen der Kindheit heraufzubeschwören.
    »Er hat auch Endre geschrieben«, sagte er mit vollem Mund.
    »Was hat er geschrieben?« fragte ich entsetzt.
    »Er hat geschrieben, Endre solle in Bereitschaft sein und an dem Tag nicht wegfahren. Er würde ihn brauchen.«
    »Den Endre?« fragte ich lachend.
    »Stimmt’s, Tibor?« fragte Laci, der immer diesen zuverlässigen Zeugen braucht. Er traut seinen eigenen Aussagen nicht mehr.
    »Stimmt, stimmt«, sagte Tibor mürrisch. »Er will etwas. Vielleicht«, sagte er, und seine Miene heiterte sich auf, als hätte er endlich die einzig anständige Antwort auf die Frage gefunden, »vielleicht will er seine Schulden in Ordnung bringen.«
    Wir dachten nach. Ich wollte an Lajos glauben, und jetzt, da Tibor die Vermutung ausgesprochen hatte, schien sie mir nicht unmöglich. Auf einmal flackerten in mir wilde Freude und eifriger Glaube auf. Natürlich, wenn er nach zwanzig Jahren

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