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Das Vermächtnis der Eszter

Das Vermächtnis der Eszter

Titel: Das Vermächtnis der Eszter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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zurückkommt! Er kommt hierher, wo er – warum es beschönigen – jedem etwas schuldet, Geld oder die Verwirklichung von Versprechen und Schwüren. Er kommt hierher, wo für ihn jede Begegnung schmerzlich, beengend und peinlich sein muß: Er kommt zurück, um der Vergangenheit ins Auge zu blicken, um sein Wort einzulösen! Was für eine Kraft, was für eine Hoffnung durchströmten mich in jenem Augenblick. Auf einmal hatte ich vor der Begegnung keine Angst mehr. Man kehrt nach jahrzehntelanger Abwesenheit nicht so einfach an den Schauplatz der Niederlage zurück. Er muß sich lange auf den schweren Weg vorbereitet haben, dachte ich teilnahmsvoll. Lange vorbereitet und weiß Gott welche Abgründe und Irrwege hinter sich bringen müssen, bis er sich entschließen konnte. Plötzlich war ich hellwach. Diese wahnwitzige, jeden nüchternen, kleinlichen Verdacht aufhebende Hoffnung, diese Sonnenhelle, die der Rückkehr vorausstrahlte, hatte bei mir sämtliche Zweifel gelöscht. Lajos kommt, zusammen mit den Kindern, er ist schon unterwegs, er ist schon in meiner Nähe. Und wir, die wir ihn kennen und von seinen Schwächen wissen, müssen uns rüsten für die große Abrechnung, da Lajos allen zurückgibt, was er schuldet: Taten und Wechsel!
    Nunu, die geräuschlos auf der Schwelle erschienen war und, die Arme unter der Schürze verschränkt, unseren Gesprächen zuhörte, unterbrach uns leise: »Endre läßt ausrichten, er komme gleich. Lajos habe ihn in offizieller Eigenschaft herübergebeten.«
    Das nährte nur meine Hoffnung. Lajos braucht einen Notar! Wir redeten durcheinander. Laci ließ sich aufgeregt darüber aus, daß man in der Stadt schon von Lajos’ Rückkehr wußte. In der Nacht sei im Kaffeehaus ein Schneider an ihn herangetreten und habe von alten Rechnungen gesprochen, Lajos’ unbezahlten Kleiderrechnungen. Ein Stadtrat habe die Betonbänke erwähnt, die er vor fünfzehn Jahren bestellt hatte, von Lajos dazu überredet; man habe eine Anzahlung geleistet, aber die Bänke seien nie geliefert worden. Solcherlei Nachrichten vermochten jetzt meine Erinnerungen nicht mehr zu trüben. Lajos’ Vergangenheit war voll von solchem Leichtsinn, aber das schienen mir jetzt alles Jugendsünden. Inzwischen waren schwierige Lebensabschnitte abgeschlossen, Lajos war fünfzig vorbei, er spielte nicht mehr mit den Worten, sondern stand für die Vergangenheit gerade, war schon unterwegs zu uns. Ich ging ins Haus, um etwas Hübsches anzuziehen.
    Laci schwelgte in den Erinnerungen: »Immer wollte er etwas. Weißt du noch, Tibor, als du ihn zum letzten Mal getroffen hast, nach dem großen Krach, als du ihm ins Gesicht gesagt hast, er sei ein Charakterlump, und ihm alles aufgezählt hast, was er der Familie und den Freunden angetan hatte, und als du gesagt hast, er sei von der niedrigsten Sorte: wie er da geweint und alle umarmt und dann zum Abschied von dir Geld verlangt hat? Hundert, oder zweihundert? Erinnerst du dich?«
    »Nein, daran erinnere ich mich nicht«, sagte Tibor peinlich berührt.
    »Doch!« rief Laci. »Und als du ihm keins gegeben hast, wie er da weggerannt ist, ganz außer sich, als ginge es in den Tod. Auch damals waren wir hier in diesem Garten, bloß eben zehn Jahre jünger, und haben uns mit Lajos beschäftigt. Dann ist er vom Tor zurückgekommen und hat ganz ruhig einen Zwanziger verlangt, ›ein bißchen Kleingeld‹, so hat er es ausgedrückt, weil er kein Geld für die Eisenbahn habe! Das hast du ihm dann gegeben. Ein Teufelskerl ist das«, schloß Laci begeistert und aß weiter.
    »Na ja, ich habe es ihm gegeben«, sagte Tibor verschämt. »Warum auch nicht? Ich habe noch nie verstanden, warum man nicht geben soll, wenn man kann. Und das war ja auch nicht das Wichtigste für Lajos«, sagte er nachdenklich und blickte kurzsichtig zur Decke.
    »Geld war für ihn nicht wichtig?« fragte Laci ehrlich verblüfft. »Du könntest genausogut sagen, für den Wolf sei Blut nicht wichtig.«
    »Du verstehst mich nicht«, sagte Tibor und wurde rot.
    Er wird immer rot, wenn er mit seiner Rolle kämpft, der Rolle des Richters, Beurteilers und Bewahrers; er muß die Wahrheit aussprechen, auch wenn er weiß, daß sie nicht mit den Vorstellungen übereinstimmt, an denen die Menschen festhalten, da er, der Richter, auf die Wahrheit geschworen hat. »Du verstehst mich nicht«, wiederholte er hartnäckig. »Ich habe viel über Lajos nachgedacht. Das Wesentliche ist die Absicht. Und seine Absichten sind nicht böse. Ich kann

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