Das Vermächtnis der Schwerter
alles seit seiner Zeit als Leiter der Kriegerschule Ecorim verändert hatte. Zwar hatte er schon damals ganz gezielt seine Unnahbarkeit gepflegt, um anderen Respekt einzuflößen, aber vor allem auch, um niemandem zu viel von sich preisgeben zu müssen. Aber jetzt brauchte er diese Distanz nicht mehr durch sein Verhalten zu erzwingen – sein Äußeres war vollkommen ausreichend, um die Menschen in seiner Umgebung einzuschüchtern. Allerdings – so musste Arton sich eingestehen – war ihm dies seltsamerweise nicht wirklich angenehm.
Er zog sich schweigend einen Stuhl neben das Bett des Hohepriesters und wartete ungeduldig, bis die beiden Novizen den Raum verlassen hatten.
»Ich muss mich für das Verhalten meiner Schüler entschuldigen«, meinte der Erleuchtete mit einem väterlichen Lächeln. »Sie sind wohl der Meinung, dass sie mich beschützen müssten. Ich denke aber«, dabei fixierten seine graublauen Augen Arton unvermittelt, »dass dies nicht notwendig sein wird, denn Euch verlangt nach Antworten, nicht nach Vergeltung, richtig?« Nataol schien sich überaus sicher zu sein.
»Die Treue Eurer Schüler ist nichts, wofür Ihr Euch entschuldigen müsst«, erwiderte Arton ruhig. »Und ja, ich habe einige Fragen an Euch, aber wahrscheinlich Ihr ebenso an mich.«
Das blasse, eingefallene Gesicht des Hohepriesters überzog ein sanftes Lächeln. »Selbstverständlich verlangt es auch mich nach Erklärungen, denn ich kann nicht leugnen, dass die Umstände Eures Auftauchens hier und besonders die Waffe, die ihr tragt, mich mit Staunen erfüllt haben. Der dunkle Stahl in Eurer Hand war ein Anblick, von dem ich nicht gedacht hätte, dass ihn mir die Götter noch zu meinen Lebzeiten gewähren.« Er betrachtete mit glücklichem Glänzen in den Augen die schwarze Klinge, die an Artons Seite hing.
Arton kniff misstrauisch sein verbliebenes Auge zusammen. »Warum?«, fragte er argwöhnisch.
Nataol räusperte sich und versuchte, sich ein wenig aufrechter hinzusetzen. »Das ist eine sehr lange und komplizierte Geschichte. Es wird viel Zeit in Anspruch nehmen, sie zu erzählen, und sie ist nur für einige ausgewählte Ohren bestimmt. Daher würde ich zuerst gerne von Euch mehr erfahren als nur Euren Namen. Wer seid Ihr genau? Was führt Euch hierher und, vor allem, wie seid Ihr in den Besitz der dunklen Klinge gekommen? Und warum versteht Ihr, sie zu nutzen?«
Arton überlegte einen Moment, ob er die Fragen des Priesters wirklich beantworten oder nicht vielmehr darauf bestehen sollte, dass dieser zunächst seinerseits ein paar Antworten lieferte. Er entschied sich dann aber, nicht darauf zu beharren. Schließlich war ihm nicht damit geholfen, gleich zu Beginn mit dem Erleuchteten darüber zu streiten, wer als Erster etwas preisgeben sollte. Daher berichtete er knapp, woher er kam, dass ihn ein Sklavenschiff nach Andobras gebracht hatte und wie er mithilfe des jungen Rai aus den Minen entkommen war. Auch bei der Schilderung des Angriffs auf die Festung Andobras beschränkte Arton sich nur auf das Notwendigste. Er beschrieb kurz, wie er dem Kommandanten Garlan das dunkle Schwert abgenommen hatte und wie es ihm nach dem Ergreifen dieser Waffe auf einmal möglich wurde, die vereinten Gedanken der Zarg zu erfassen.
»Alles Weitere habt Ihr am eigenen Leib erlebt«, bemerkte Arton abschließend. »Warum ich die Kraft des Schwertes nutzen konnte, müsst Ihr mir sagen.«
Nataol schwieg nachdenklich. Die Haut, die sich über seinen bis auf den vierzackigen Haarkranz kahlen Schädel spannte, wirkte beinahe so weiß wie das Laken. Da er seine Haare nicht wie während des Kampfes auf dem Festungsplatz golden eingefärbt, sondern diese in ihrem natürlichen hellgrauen, beinahe weißen Ton belassen hatte, wirkte die farblose Gestalt des Hohepriester fast durchscheinend, so als wäre er kein Wesen aus Fleisch und Blut.
»Ihr stammt also aus Seewaith«, murmelte Nataol wie zu sich selbst, »und Ihr wisst nichts über die Kraft, die in Euch ruht. Bemerkenswert, das hätte ich nicht vermutet.«
»Vielleicht wäre es jetzt einmal an der Zeit, dass Ihr Euch ein bisschen weniger schleierhaft ausdrückt.« Arton runzelte ungehalten die Stirn. »Ihr habt selbst noch fast nichts verraten, obwohl Ihr bereits vieles von mir erfahren habt.«
Nataol legte den Kopf schräg und hob die Augenbrauen. »Und doch habt Ihr mir noch etwas Wesentliches verschwiegen, nämlich wie der Name Eurer Familie lautet. Aber vielleicht kann ich das bereits
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