Das Vermächtnis der Schwerter
immer äußerst wortkarg gewesen. Zu sehr hatte Maralon die Erinnerung an Ecorims Tod auch nach all den Jahren noch geschmerzt. Aber Maralon war inzwischen selbst schon seinem Neffen Ecorim durch Xelos’ Feuer gefolgt. Und wenn es der Wahrheit entsprach, was die Priester immer wieder predigten, dann saß Artons Ziehvater vielleicht jetzt gerade an Ecorims Seite in den Hallen des Xelos und sie ergingen sich gemeinsam in Geschichten über die alten Zeiten. Zumindest war dies ein tröstlicher Gedanke, der den plötzlich zurückkehrenden Kummer über Maralons Tod für Arton ein wenig milderte. Fest stand jedenfalls, dass Arton nun niemanden mehr außer Nataol kannte, der ihm etwas über Ecorim hätte berichten können, und deshalb durfte er sich diese Möglichkeit nicht entgehen lassen.
»Wie war Ecorim denn, als Ihr ihm gegenübergetreten seid?« Arton konnte sehr zu seinem Missfallen nicht verhindern, dass aus jedem Wort seiner Frage staunende Neugier herauszuhören war.
Nataol wirkte dementsprechend amüsiert. »Habt Ihr etwa schon das Interesse an der Beantwortung Eurer ersten Frage verloren? Jaja, die Rastlosigkeit der Jugend … Nun gut, ich werde versuchen, meinen Eindruck von Ecorim in Worte zu fassen.« Der Erleuchtete strich sich über das beinahe kahle Haupt. »Sein Wuchs und seine Ausstrahlung waren gleichermaßen groß. Er gehörte zu jenen Menschen, die man ganz einfach bemerken muss, selbst wenn man sie nur flüchtig inmitten einer großen Ansammlung von Unbekannten sieht. Sein Gesicht wirkte meist freundlich und ungetrübt von Kummer oder Sorgen. Mit seinen strahlenden blauen Augen und dem langen blonden Haar glich er einem Gesandten der Götter – mit der heiligen Aufgabe betraut, gegen Verzagtheit und Gottlosigkeit zu kämpfen.«
Artons Hände ballten sich unwillkürlich zu Fäusten. Denn Ecorims Ähnlichkeit zu Arden war so offensichtlich, dass der Hohepriester ebenso gut auch Artons Halbbruder hätte beschreiben können. Arton konnte einfach nicht den Tag vergessen, an dem er erfahren hatte, dass er – im Gegensatz zu Arden – nicht Ecorims Sohn war. Dieses niederschmetternde Gefühl, als unwürdig erachtet zu werden, das Erbe des großen Helden anzutreten, hatte sich tief in sein Gedächtnis gebrannt. Arton würde niemals sein wie Ecorim, das war ihm gerade wieder mit schonungsloser Deutlichkeit vor Augen geführt worden. Es fehlten ihm dazu nicht nur die Unbekümmertheit und die Gunst der Götter, sondern mittlerweile verliehen ihm seine Narbe und die eine leere Augenhöhle wohl eher das Aussehen eines Dämons aus der Zwischenwelt als das eines Göttergesandten. Arton hatte es bisher noch nicht gewagt, in einen Spiegel zu blicken. Aber er konnte sich gut vorstellen, wie abstoßend er aussehen musste.
»Was ist mit Euch?«, fragte der Erleuchtete und riss Arton damit aus seinen Überlegungen. »Missfällt Euch meine Beschreibung Ecorims? Erinnert sie Euch an jemanden, den ihr verachtet?«
Artons Blick richtete sich irritiert auf den leichenblassen Hohepriester. Es schien ihm, als könne der greisenhafte Gottesdiener seine Gedanken lesen. Dies beunruhigte ihn zutiefst, denn seine inneren Konflikte waren nun wirklich nicht dazu bestimmt, von anderen studiert zu werden. Schnell versuchte er, sich wieder auf etwas anderes zu konzentrieren.
»Das muss nicht Eure Sorge sein«, erwiderte er knapp. »Beantwortet lieber meine anfängliche Frage.«
»Ihr seid mir ins Wort gefallen«, entgegnete Nataol schulmeisternd, »deshalb konnte ich meine Erklärung nicht beenden. Wenn Ihr mich nicht mehr unterbrecht, werde ich sogleich Eure Wissbegierde stillen.« Provozierend umständlich stopfte er ein weiteres Kissen als Stütze unter seine Beine, bevor er endlich weitersprach:
»Wie ich bereits sagte, war Ecorim ein Meister darin, bedingungslose Gefolgstreue einzufordern. Aber dies lag nicht etwa an seiner beeindruckenden Erscheinung oder der Kunst, im rechten Augenblick die richtigen Worte zu finden, sondern er verfügte über eine Fähigkeit, die es ihm ermöglichte, auf die Gedanken seiner Mitstreiter Einfluss zu nehmen und sie damit nach seinem Willen zu lenken.« Nataol musterte Arton bei diesen Worten aufmerksam. »Es gibt in unserer Welt nicht viele, die auf diese Weise in den menschlichen Geist vorstoßen können. Voraussetzung dafür ist das Talent für etwas, das wir, Geistsprache’ nennen und für das Ecorim eine ganz außergewöhnliche Begabung besaß. Nun ist es sehr wahrscheinlich, dass
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