Das Vermächtnis der Wanderhure
und ein tapferer Krieger, solange sein Vater noch lebte. Nun ist er beides nicht mehr.«
»Tapfer ist mein Bruder immer noch!« Trotz der schlechten Behandlung durch Dimitri fühlte Jaroslaw sich bemüßigt, ihn zu verteidigen.
»Tapfer sein heißt nicht nur, kräftig dreinschlagen zu können und furchtlos zu sein, sondern auch seinen Verstand zu gebrauchen. Genau daran fehlt es Dimitri. Er hält nicht zu Moskau, weil er nicht im Schatten des Großfürsten stehen will, und Juri von Galic versucht nicht einmal mehr, ihn als Verbündeten zu gewinnen, da Dimitri ihn mit seiner Unzuverlässigkeit und Raffgier zutiefst verärgert hat.«
Grischa hatte sich in Rage geredet, und Lawrenti stellte verblüfft fest, dass es Jaroslaw trotz seiner Schüchternheit gelungen war, ihrem Gastgeber solche Aussagen zu entlocken. In dem Augenblick, in dem er überlegte, wie er das Gespräch am Laufen halten konnte, um noch mehr zu erfahren, erschien die dürre Magd und kündete weitere Gäste an.
Lawrenti wunderte sich nicht, seinen Freund Anatoli hier zu sehen, denn dieser hegte schon seit längerem einen tiefen Groll gegen den Fürsten. Mehr überraschte ihn die Anwesenheit zweier greiser Edelleute, die Dimitris Vater Michail lange Jahre als Beratergedient hatten und von dem jungen Fürsten aus ihrem Amt vertrieben worden waren. Sie grüßten ihn erfreut und nahmen dann die Plätze ein, die ihr Gastgeber ihnen zuwies. Als kurz darauf noch zwei angebliche Handelspartner des Methändlers erschienen, wurde es eng in der Kammer.
»Nun sind wir alle versammelt!« Grischa schenkte jedem ein großes Glas Met ein.
Lawrenti achtete nicht auf das Getränk, obwohl es ihm besser schmeckte als das, was sein Gastgeber ihm zuerst angeboten hatte, sondern richtete sein Augenmerk auf die Fremden. Ihre einfachen, aber aus gutem Stoff genähten Kaftane und Mützen wiesen sie als Kaufleute aus, doch ihre Haltung war nicht die von Männern, die um Kunden buhlen mussten. Dafür blickten ihre Augen zu kalt und ihre Mundwinkel waren zu einem überheblich wirkenden Lächeln verzogen.
»Da dachte ich, ich komme mit Jaroslaw auf einen Becher Met vorbei, und finde eine Versammlung vor, wie sie in der Halle des Fürsten kaum größer sein könnte«, sagte Lawrenti in der Hoffnung, die Fremden etwas aufzuheitern und redselig zu machen.
Einer der ehemaligen Berater von Fürst Michail legte ihm die Hand auf den Arm und flüsterte ihm zu, die Herren kämen aus Moskau und nähmen dort bedeutende Stellungen am Hofe des Großfürsten ein. Ihr Anführer Boris Romanowitsch sei ein entfernter Verwandter des Großfürsten. Da der Alte etliche Male im Auftrag des Fürsten Michail in Moskau gewesen war und die Männer dort kennen gelernt haben musste, hegte Lawrenti keinen Zweifel an seinen Worten. Er fragte sich, weshalb Wassili und dessen Berater so hochrangige Gefolgsleute nach Worosansk geschickt hatten.
Der Anführer der Moskauer schien Lawrentis Misstrauen erkannt zu haben, denn er wandte sich ihm mit einer ebenso hochmütigen wie angespannten Miene zu. »Du bist der Schwertträger deines Fürsten und müsstest wissen, was in eurem Land vorgeht.
Dimitri Michailowitsch hat den segensreichen Bund mit Moskau aufgekündigt, den sein Vater geschlossen hatte, um sich den Feinden Moskaus anzuschließen. In seiner Gier aber hat er auch diese verprellt. Nun steht er allein da und sein Fürstentum wird zum Spielball seiner Nachbarn. Schließlich ist Worosansk nicht ganz unbedeutend, denn es kann den Handelsweg nach Pskow und damit auch die Heerstraße nach Litauen blockieren. Juri von Galic plant, eure Stadt zu erobern und sie seinem Reich einzugliedern. Um dies zu verhindern, verlangt Großfürst Wassili II., dass Dimitri gestürzt und ein besserer Anführer auf seinen Thron gesetzt wird. Du, Lawrenti Jurijewitsch, und ihr anderen müsst euch entscheiden, ob ihr für oder gegen Moskau sein wollt.«
Als die Worte des Bojaren verhallt waren, blieb es einige Augenblicke lang still im Raum. Dann schüttelte Lawrenti seine Starre ab, kratzte sich am Bart und wiegte den Kopf, als könne er nicht recht begreifen, was er eben gehört hatte. »Wenn ich dich richtig verstehe, Brüderchen, willst du, dass wir uns Moskau unterwerfen und Wassili als Großfürsten anerkennen!«
Boris Romanowitsch hob beschwichtigend die Rechte. »Worosansk ist ein freies Fürstentum und soll es auch bleiben, solange es Moskaus Verbündeter ist.«
Diese Pirogge hat zwar eine angenehme Hülle, aber
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