Im Bann des Falken
1. KAPITEL
“Verschollen. Vermutlich tot.”
Benommen blickte Bethany auf das, was sie da las, doch alles in ihr wehrte sich, das Geschriebene zu glauben. Ihr Vater mochte vermißt sein, aber tot war er nicht. Nicht Douglas McGregor, der Überlebenskünstler. Irgendwie kam er stets mit einem blauen Auge davon. Das hatte er erneut bewiesen, als er in den Dschungelbergen Neuguineas vermißt und für tot erklärt worden war. Dennoch mußte Bethany sich eingestehen, daß ein Überleben in der arabischen Wüste möglicherweise sehr viel schwieriger war als im Tropendschungel, wo es immerhin Wasser und eßbare Früchte gab. Außerdem brauchte ihr Vater unbedingt seine Malariatabletten …
Bethanys Entschluß war gefaßt. Sie mußte etwas
unternehmen!
Von offizieller Seite hatte man ihren Vater offenbar aufgegeben.
Wenn ein Anthropologe unbedingt primitive
Eingeborenenstämme erforschen wollte, war das sein Risiko.
Die australische Regierung dachte nicht daran, einen Suchtrupp in einen arabischen Staat zu entsenden, nur um einen exzentrischen Wissenschaftler aufzuspüren. Niemand würde die Angelegenheit weiterverfolgen, soviel stand für Bethany fest.
Also blieb nur sie selbst!
Und sie durfte keine Zeit verlieren!
Bethany sah hoch und den Polizeibeamten an, der ihr im Sessel gegenübersaß und sich in seiner Rolle als Überbringer der Unglücksbotschaft sichtlich unwohl fühlte.
Tapfer lächelnd stand Bethany auf. “Danke, daß Sie gekommen sind, Sergeant.”
Er erhob sich ebenfalls. “Das war doch selbstverständlich, Miss McGregor. Es tut mir ehrlich leid …” Er machte hilflos eine Handbewegung und verstummte.
Es überraschte ihn, wie gefaßt sie die Nachricht aufgenommen hatte. Aber als Krankenschwester war sie es wohl gewohnt, Fassung zu bewahren. Dennoch hatte er ein ungutes Gefühl. Diese Bethany McGregor reagierte so ruhig …
irgendwie unnatürlich. Dabei war sie erst dreiundzwanzig Jahre alt, ohne Geschwister, die Mutter tot… und jetzt auch noch der Vater …
Wenn ihr in dieser Situation wenigstens jemand tröstend zu Seite stünde. Aber ihre einzigen Verwandten lebten in Schottland, eine halbe Weltreise von Sydney entfernt. Und sie teilte sich das Terrassenhaus in Paddington während der Abwesenheit ihres Vaters nicht einmal mit einer Freundin oder Kollegin. Da mußte, sie jetzt sehr einsam sein. Todunglücklich, setzte der Sergeant im stillen hinzu.
Ihn hatte fast der Mut verlassen, als sie ihm die Tür geöffnet hatte. Mit ihren großen blauen Augen hatte Bethany McGregor so unglaublich jung und verletzlich gewirkt. Wie sie ihn angesehen hatte, war ihm durch und durch gegangen. Er hatte das Gefühl gehabt, in den Tiefen dieser Augen zu ertrinken, während er ihr vom Verschwinden ihres Vaters berichtet hatte.
Sie hatte nicht geweint. Keine einzige Träne. Er hätte froh sein müssen, daß sie es ihm leichtgemacht hatte, aber … ihre Reaktion war so unnatürlich gewesen.
“Sollten wir …. Näheres erfahren …” fuhr er unbehaglich fo rt.
“Geben Sie mir Bescheid”, unterbrach Bethany ihn trocken.
“Ich danke Ihnen, Sergeant.”
Sie begleitete ihn hinaus, und obwohl sie spürte, daß ihr Verhalten ihn befremdete, äußerte sie sich nicht dazu. Sie wollte nur allein sein.
In Gedanken ging sie bereits durch, was zu tun war. Singapur Airlines anrufen und einen Platz in der nächsten Maschine nach Rhafhar buchen. Im Krankenhaus Urlaub nehmen. Reiseschecks besorgen. Packen. Alles Verderbliche aus dem Haus schaffen.
Gut abschließen…
Bethany verlor keine Zeit. Sie war es gewohnt, rasch und konsequent Entscheidungen zu treffen und diese zielstrebig zu verwirklichen. Als sie acht Jahre alt gewesen war, hatte der Turnlehrer ihr eingeschärft, daß kein Platz für Halbherzigkeit sei, wenn sie bei internationalen Wettbewerben antreten wolle.
Um etwas zu erreichen, mußte man sein Ziel kompromißlos angehen, hatte Bethany erkannt und seither nach diesem Grundsatz gelebt. Sie hatte an internationalen
Sportwettbewerben teilgenommen, jedoch keine Medaillen gewonnen. Als Teenager war ihr dann klargeworden, daß sie sportlich nicht mehr erreichen konnte, und sie hatte sich anderen Herausforderungen zugewandt.
Ihr Interesse an Fitneß und Gesundheitsfragen hatte Bethany schließlich dazu bewogen, Krankenschwester zu werden. Mit ihrer Hingabe und dem angeborenen Bedürfnis, das Beste zu geben, gehörte sie zu den tüchtigsten Schwestern des St.
Vincent’s Hospitals. Die Oberin war
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