Das Vermächtnis der Wanderhure
mit verzweifelten Gesten zum Schweigen bringen wollte, stießen sich ein paar von Dimitris besonderen Günstlingen grinsend an. In ihren Augen wurde es Zeit, Lawrenti, der seinen Rang als Schwertträger und Berater des Fürsten noch unter Dimitris Vater Michail erhalten hatte, durch einen jüngeren Mann zu ersetzen. Da Andrej von allen Gefolgsleuten das meiste Anrecht auf diesen Posten hatte, aber selbst nichts zum Sturz seines Onkels beitragen würde, hoffte jeder der Höflinge, zum neuen Vertrauten des Fürsten aufsteigen zu können.
Anatoli und einige andere Männer, die von Dimitri in der Vergangenheit zu schwer oder zu Unrecht bestraft worden waren, nickten jedoch bei Lawrentis Worten und sahen einander vielsagend an.
SECHSTER TEIL
Die Rebellion
I.
Z u Lawrentis Ärger wirkte Jaroslaw so verzweifelt und verängstigt, als würde er zu seiner eigenen Beerdigung geschleppt. Dimitri hätte an seiner Stelle gelacht und Witze gerissen, wie sie zu einem vergnüglichen Spaziergang gehörten. Seinem Bruder aber konnte man das schlechte Gewissen auf einen halben Werst ansehen. Daher war der alte Schwertträger froh um die Kälte, welche die Menschen in ihren Häusern hielt, und um die dicken Wintermäntel und Pelzmützen, die Jaroslaw und er trugen. Die wenigen Passanten, denen sie auf den verschneiten Gassen begegneten, kümmerten sich nicht um sie, sondern beeilten sich, rasch wieder ins Warme zu gelangen. Dennoch befürchtete Lawrenti, Jaroslaw könnte die Zuträger des Fürsten durch seine Haltung misstrauisch machen.
»Nimm dich zusammen, Jaroslaw Michailowitsch, oder willst du Verdacht erregen?« Obwohl Lawrenti nur flüsterte, klangen seine Worte scharf.
Der Prinz zuckte zusammen, stotterte etwas Unzusammenhängendes und sah den alten Edelmann so entsetzt an, als hielte dieser sein Todesurteil in den Händen. »Wohin bringst du mich?« Lawrenti fluchte innerlich, weil der Junge kein Rückgrat zu haben schien. »Ich habe es dir doch vorhin im Kreml erklärt! Wir suchen den Honig- und Methändler Grischa Batorijewitsch auf, um ihm einen besonderen Tropfen für deinen Bruder abzuhandeln. Dimitri war über deine Gabe zum Geburtstag seines Sohnes so erfreut, dass es niemanden wundern dürfte, wenn du weiterhin versuchst, seine Gunst durch kleine Geschenke zu erringen.«
Jaroslaw nickte gehorsam, aber seine verkrampfte Miene löste sich nicht. Jetzt war Lawrenti wütend auf sich selbst, weil er ein paar Andeutungen fallen gelassen hatte, sie würden bei Grischa Batorijewitsch eben nicht nur ein Fässchen Met kaufen.
»Wir sind gleich da!« Lawrenti zeigte erleichtert auf das niedrigeBlockhaus mit seinem langen, aus Brettern zusammengenagelten Anbau, in dem der Methändler im Winter seine Bienenvölker hielt. Grischa Batorijewitsch war reicher, als die meisten in Worosansk ahnten, auch wenn er bescheiden auftrat und nur ein kleines Haus bewohnte, das sich bis auf den Schuppen nicht von den anderen Häusern in der Gasse unterschied.
Als Lawrenti an die Tür pochte, öffnete ihm eine Magd. Sie war nicht mehr jung und so hager wie ein Strich. Beim Anblick der Besucher verzog sich ihr Gesicht, als stünden Räuber vor ihr.
Im Gegensatz zu seiner Bediensteten begrüßte Grischa Batorijewitsch den Bruder des Fürsten und Lawrenti mit überschäumender Freude. »Willkommen in meinem bescheidenen Heim, meine Freunde. Setzt euch! Lanka wird uns gleich einen guten Tropfen vorsetzen. Doch vorher soll sie uns Brot und Salz bringen und eine geweihte Ikone, damit wir den Freundesschwur leisten können.«
Die Magd schien auf diese Worte gewartet zu haben und erschien prompt mit einem Tablett, auf dem ein geschnittener Laib Brot, ein Schüsselchen Salz und das goldgeschmückte Bildnis der Heiligen Jungfrau lagen. Der Methändler wartete, bis seine Gäste Brot und Salz genommen hatten, tat es ihnen dann gleich und küsste anschließend inbrünstig die Ikone.
»Hiermit schwöre ich bei Gott, der Heiligen Jungfrau und bei allen Heiligen unserer geliebten russischen Kirche, dass ich euch keinen Schaden zufügen, sondern euren Nutzen mehren will.« Er küsste die Ikone noch einmal und reichte sie an Jaroslaw weiter, der sie verwirrt anstarrte und erst auf Lawrentis Aufforderung hin seine Lippen auf das Antlitz der Gebärerin Christi drückte. Als Letzter küsste Lawrenti die Ikone und gab sie der Magd zurück.
Der Methändler fasste Jaroslaw und Lawrenti an den Ärmeln ihrer Kaftane und zog sie mit sich. »Folgt mir,
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