Das Vermächtnis der Wanderhure
die Deutschen Ritter bei Sommerhitze auf dem Peipussee besiegt, statt in Eis und Schnee?«
Während Lawrenti an diesen Argumenten zu kauen hatte, wandte sich der andere Ratgeber des früheren Fürsten händeringend an den Prinzen. »Du musst dich entscheiden, Jaroslaw Michailowitsch! Entweder erhebst du dich gegen deinen Bruder und rettest so deine Stadt, oder du beschwörst unser aller Ende herauf. Du solltest bedenken, dass Dimitri uns durch seine Unbesonnenheit in diese schlimme Situation gebracht hat.«
Jaroslaw saß wie erstarrt, umklammerte den Becher und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Da Lawrenti spürte, dass der Prinz zu keinem Entschluss kommen würde, stand er auf und legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Erinnere dich an die Grausamkeit deines Bruders, Jaroslaw Michailowitsch. Hat er doch schon mehr als ein braves russisches Mädchen auf viehische Art durch seine Tataren umbringen lassen! Es kostet ihn nur ein Wort, sich deiner auf ähnlich barbarische Weise zu entledigen. Wenn du aber fest bleibst und handelst, wirst du nie mehr Angst vor ihm haben müssen.« Nur noch vor Moskau, setzte er den Satz in Gedanken fort, doch der Schatten der Metropole fiel auch jetzt schon über das Land.
»Wohl gesprochen!« Boris Romanowitsch kam auf Lawrenti zu und umarmte erst ihn und dann den jungen Prinzen. »Lang lebe Fürst Jaroslaw von Worosansk! Ehe ich es vergesse: der Großfürst beliebt in seiner Güte, das Gebiet, das Sachar Iwanowitsch derzeit noch verwaltet, dem Fürstentum Worosansk als Dank für dessen treue Unterstützung zu überlassen.« Diesen Trumpf hatte Wassilis Abgesandter sich bis zuletzt aufbewahrt, um den Gefühlen der Worosansker zu schmeicheln, denn sie sollten den Großfürsten von Moskau nicht nur aus Angst, sondern auch aus Dankbarkeit als ihren Oberherrn anerkennen.
Die Berater des verstorbenen Fürsten ließen Wassili II. hochleben und dann Jaroslaw, der nicht zu wissen schien, wie ihm geschah. Doch der Bojar war sicher, dass der Prinz von der Woge, die von Moskau ausging, einfach mitgerissen werden würde. Auch Lawrenti war nun bewusst geworden, dass der Junge nicht eher zur Ruhe kommen durfte, bis sein Bruder gestürzt und er Fürst war – oder tot.
II.
D ie Fürstin war schwanger. Das konnte Marie Anastasia mit gutem Gewissen bestätigen, die Anzeichen waren deutlich genug. Sie atmete erleichtert auf, denn die sich immer launischer gebärdende Frau war in den letzten Wochen kaum noch zu ertragen gewesen. Obwohl sie alles getan hatte, um sich selbst und Alika den Begehrlichkeiten des Fürsten zu entziehen, hatte Anastasia sie immer wieder beschimpft und die Mohrin, die jetzt unter einem hartnäckigen Ausschlag litt, zweimal auspeitschen lassen. Dafür hatte Marie der Fürstin zu einem argen Durchfall verholfen und nicht nur ihre kleine Rache genossen, sondern auch ihren Ruf als Heilerin festigen können.
An jenem Tag war sie zu einer völlig verängstigten Anastasia gerufen worden, die fürchtete, sie habe sich jene tödliche Krankheit zugezogen, die in ihrer Heimat immer wieder grassierte. Da Marie wusste, was die Krankheit der Fürstin verursacht hatte, war es ihr möglich gewesen, Anastasia im Handumdrehen zu heilen. Trotzdem würde sie so etwas nicht noch einmal riskieren. Wenn sie auch nur in den Hauch des Verdachts geriet, der Fürstin übel zu wollen, würde deren Strafe hart und grausam sein. Ihr war bewusst, dass sie bisher nur deswegen von der Peitsche verschont worden war, weil sie den Prinzen säugte, aber dieser Umstand würde sie nicht mehr lange schützen. Ihr Rücken juckte bei demGedanken wie schon seit Jahren nicht mehr, und sie hatte Mühe, sich auf die erregten Worte Anastasias zu konzentrieren.
»Wird es ein Sohn, sprich? Es gibt doch gewiss Kräuter, die dafür sorgen können, dass ich dem Fürsten einen zweiten Sohn gebäre.«
Marie schüttelte den Kopf. »An so etwas auch nur zu denken hieße den Herrgott versuchen. Er gibt und er nimmt. Wenn es ihm genehm ist, wirst du einen Sohn zur Welt bringen, doch solltest du ihm auch dankbar sein, wenn es ein Mädchen wird. Denke daran, eine Tochter kann dein Gemahl mit einem der anderen Fürsten vermählen und damit Allianzen schließen.«
Sie konnte nur hoffen, dass die Fürstin sich diesem Argument öffnen würde, denn im Augenblick sehnte Anastasia sich in einer fast verzweifelten Weise nach einem zweiten Sohn, der die Thronfolge auf festere Beine stellen konnte, auch wenn seine Geburt für jene
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