Das Vermächtnis der Wanderhure
habt es bis heute nicht für nötig gefunden, einen Namen für die Tochter zu wählen, die ich Euch geboren habe. Tut es bitte jetzt, und ich werde Euch auf ewig in meine Gebete einschließen.«
Michel öffnete schon den Mund zu einer, wie Marie seinem Gesichtsausdruck entnahm, recht harschen Bemerkung. Da sie am Tag ihrer Rückkehr jedoch keinen zusätzlichen Missklang erleben wollte, hob sie gebieterisch die Hand. »Ich möchte das Kind sehen!«
Schwanhild begriff mit einem Mal, welch mächtige Verbündete Marie sein konnte, und befahl ihrer Leibmagd, die Kleine zu holen.
Unterdessen schenkten die Mägde das Gewürzbier aus, welchesZdenka schon bei der Annäherung des Reisezugs übers Feuer gehängt hatte, und Michels und Maries Begleiter nahmen die Gelegenheit wahr, ihre klammen Knochen mit dem belebenden Getränk zu wärmen. Selbst Trudi ergatterte einen Schluck, doch als sie den Becher an Falko weitergeben wollte, griff ihre Mutter ein.
»Dafür ist es noch ein wenig früh, mein Schatz. Du solltest ebenfalls nichts von dem gewürzten Bier trinken, das ist nichts für kleine Kinder.«
»Ich bin kein kleines Kind mehr! Papa sagt, ich sei schon groß!« Trudi zog einen Schmollmund, wirkte aber nicht im Geringsten eingeschüchtert, und Marie begriff, dass ihre Tochter den festen Willen von ihr geerbt hatte.
Der Eintritt Friedas, die den Säugling wie eine besondere Kostbarkeit auf den Armen trug, beendete das kleine Zwischenspiel. Schwanhild nahm ihrer Leibmagd das Kind ab, legte es auf den Tisch und zog es bis auf die Haut aus.
»Seht hier, Frau Marie. Es ist nur ein Mädchen.« Es klang so verzweifelt, dass Marie unwillkürlich Mitleid mit der Jüngeren bekam. Sie musterte das Kind genauer und nahm all das wahr, was den anderen bisher entgangen war. Die Kleine hatte Michels Stirn und Augen, und der mürrische Gesichtsausdruck, mit dem sie die plötzliche Kälte quittierte, glich so sehr Michels Schmollmiene, dass Marie kurz auflachte.
Dennoch warf sie Schwanhild und Ingold einen scharfen Blick zu. Besonders wohl fühlten die beiden sich nicht in ihrer Haut, das war ihr klar. Aber wenn es ein verbotenes Verhältnis gab, hatte es erst nach der Zeugung dieses Kindes begonnen, denn der Junker war ganz gewiss nicht der Vater.
Marie drehte sich zu Mariele um und wies auf den nackten Säugling. »Wickle die Kleine und kleide sie an, sonst holt sie sich noch den Tod, und du, Michel …«, ihr Blick bohrte sich in die Augen ihres Mannes, »… wirst nun dein Versäumnis nachholen unddeiner Tochter einen Namen geben, auf dass sie getauft und in die Gemeinschaft der Gläubigen aufgenommen werden kann.«
Michel wollte zuerst abwehren, sagte sich dann aber, dass Marie wissen musste, was sie tat. »Sie soll einen Namen bekommen und heute noch getauft werden. Wie könnte man sie nennen?«
»Ihre Mutter heißt Schwanhild. Da wäre ein Name wie Hildegard angebracht. Er würde auch zu Hiltrud passen, denn darauf ist Trudi getauft worden.«
Maries Antwort ließ Schwanhild aufatmen. Als Michel diesen Namen dann auch noch bestätigte, ging die junge Frau auf Marie zu und ergriff ihre Hand. »Ich danke Euch, und ich schäme mich gleichzeitig vieler Gedanken und Worte, mit denen ich Euch beleidigt haben mag.«
Marie fühlte, dass es der Frau damit ernst war, und wunderte sich ein wenig, hatte sie doch vieles über deren Hochmut und Überheblichkeit gehört. Sie konnte nicht wissen, dass die letzten Monate Schwanhild zermürbt hatten. Zuerst war es nur die Angst gewesen, von Michel als Mutter eines Bastards hingestellt zu werden. Dann hatte sie von Maries Rückkehr erfahren und war jeden Tag mit dem Gedanken aufgewacht, in ein Kloster geschleppt zu werden, in dem ihre restlichen Jahre verfließen würden wie Wasser im Sand. Diese Gefahr war noch nicht gebannt, doch in dem Moment, in dem Marie durchgesetzt hatte, dass ihre Tochter getauft werden würde, fühlte sie einen Hauch von Hoffnung, denn sie erinnerte sich daran, welches Loblied Zdenka, Eva und ihre Freundinnen auf Marie gesungen hatten. Die Frauen hatten Michels erste Frau einen Menschen mit einem großen Herzen genannt. Vielleicht würde sie auch ihr gegenüber gnädig sein und ein gutes Wort für sie einlegen.
Michel blickte auf das Kind hinab, das er unter Maries Druck hatte anerkennen müssen. Hätte sie dies auch getan, wenn es ein Junge gewesen wäre, der das Erbe ihres eigenen Sohnes geschmälert hätte? Das war möglich, denn auch als Tochter hatte dasKind
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