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Das Vermaechtnis des Caravaggio

Das Vermaechtnis des Caravaggio

Titel: Das Vermaechtnis des Caravaggio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Dempf
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Doch Enrico blieb
verschwunden. Dieses eine Mal hätte sie ihn gebraucht. Mit einem Schrecken, der
sie so stark überfiel wie der Schnitt eines Messers ins Fleisch, erkannte sie, dass
ihr der Tod gegenüber stand. Unwillkürlich zitterten ihre Lippen, und das Kind
im Bauch strampelte, als genieße es nicht den warmen und dunklen Aufenthalt
unter ihrem Herzen, sondern wolle sich aus seinem Gefängnis befreien.
Unwillkürlich beschleunigte sich ihr Atem, und sie fühlte es heiß im Gesicht
aufsteigen.
    „Ihr seid totes Fleisch, Nerina – und
ihr wisst es. Aber die Ungewissheit soll nicht Euer Pfand sein, mit dem Ihr die
Grenze überschreitet. Wir trafen uns bei Kardinal Del Monte, Jahre später. Ich
zu einem Jüngling herangewachsen, er zu einem Mann. Er erkannte mich nicht, ich
aber ihn. Erst als ich ihn zurückgewiesen hatte, als er von denselben Worten in
den Staub getreten wurde, mit denen er meinen Bruder damals verletzte, verstand
er. Die Zeit heilte meine Wunde nicht, sondern grub sie nur tiefer. Befreit von
den lockeren Schichten des Sediments Zeit, brach die Wunde wieder auf. Seither
suche ich nach dem Amulett – seither vollende ich, was Caravaggio so
unglückselig begonnen hat. Wie bei einem Gemälde, versteht Ihr, das man
ausbessert – und jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, den Firnis endgültig
aufzutragen, den Riss zu schließen, ihn verschorfen zu lassen. Der Kardinal
unterstützt mich. Ihm ist daran gelegen, dass ein Mensch wie Caravaggio, der
mit seinen Bildern begeistert und Marksteine einer neuen Frömmigkeit setzt und
trotzdem die Menschen in ihrem tiefsten Inneren verletzt, ausgelöscht wird.“
    Er trat einen Schritt auf Nerina
zu, die ihre Augen schloss und den Stich, das tödliche Brennen in den
Eingeweiden erwartete. Sie hatte abgeschlossen. Die Zeit, dachte sie, fließt
und verschwindet wie das Leben der Menschen darin. Bruchlos vergehen die Jahre.
    Doch nichts geschah. Sie hörte nur
ein Klicken und Zischen, als flöge eine Eule durch den Raum, die mit ihrem
weichen Gefieder die Luft streichelte. Sie fühlte die Spitze des Degens auf
ihrem Bauch, den Kitzel des Todes. Sie biss sich auf die Lippen, bis sie Blut
spürte, aber plötzlich ließ der Druck der Schneide nach, und als sie die Augen
öffnete, sah sie in die vor Erstaunen weit aufgerissenen Augen Fra Domenicos.
Sein Mund öffnete sich, als wolle er schreien, aber kein Laut drang über seine
Lippen. Er taumelte vorwärts, knickte ein und brach schließlich gänzlich in die
Knie, während sich sein Degen in der Bodendiele verhakte und unter dem Gewicht
des Mannes zerbrach, während der Körper nach vorne fiel. Aus seinem Hinterkopf
ragte eine Pfeilbefiederung.
    Es dauerte lange, bis Nerina
begriff, dass der Bolzen einer Armbrust von hinten in Fra Domenicos Schädel
eingedrungen war und ihn getötet hatte. Vor Furcht und dem heiß aufwallenden
Gefühl der Dankbarkeit vergaß sie, sich nach dem Schützen umzusehen. Hysterisch
begann sie zu kichern und schließlich zu lachen, und das Kind in ihrem Bauch
schlug um sich, als müsse es sich gegen das Leben wehren. So erschrak sie, als
sich ein Arm um ihre Schultern legte.
    „Ich habe alles mit angehört. Fra
Domenico arbeitete also für Del Monte. Er hat es verdient, Nerina.“
    Sie wollte weinen, aber es gelang
ihr nicht. Nur ein Zittern durchlief sie.
    „Halt mich fest, Enrico!“
    „Es ist vorbei, der Albtraum ist
endlich vorbei.“
    In seiner Hand hielt er die
Armbrust, um derentwegen er zum Markt nach Port’Ercole aufgebrochen war. Sie
drückte sich in seinen Arm. Vor ihr lag Fra Domenico, dessen Körper noch immer
leicht zitterte, aber in ihrem Bauch regte sich das Leben, und sie hatte das
Gefühl, dass es diesmal nicht Furcht und Hoffnungslosigkeit waren, die das
Menschenleben darin bewegte, sondern dass es sich in ihrer Wärme barg. Ihre
Frucht ließ Caravaggio doppelt unsterblich werden.

„Ob das, was ich geschrieben habe,
mit der Realität übereinstimmt oder nicht,
ist mir egal. Denn der Romancier
erfindet die Realität ... andererseits,
interessieren tut es mich.“

Alain
Robbe-Grillet

Biografische Daten zu
Caravaggios Leben
    Ein Roman ist nicht unbedingt an
die historische Wahrheit gebunden. Dies unterscheidet ihn wesentlich von
wissenschaftlichen Werken. Trotzdem habe ich versucht, Michelangelo Merisis
Leben so wahrheitsgetreu wie möglich zu schildern, was umso schwieriger war,
als viele unterschiedliche Versionen seines Lebensweges existieren. Dort, wo
ich es für

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