Das Vermächtnis des Martí Barbany
dass ich es tue, wenn Ihr mir schwört, dass Ihr mir gestattet, dort hinzugehen.«
»Es ist gut, ich schwöre es. Aber es wird auf meine Art geschehen.«
»Ganz gleich, wie. Ich bin damit zufrieden, dass ich teilnehmen darf.«
»Nun, dann esst und ruht aus. Jetzt muss ich mit Kapitän Jofre sprechen. Er hat gerade die Eulàlia vor der Küste festgemacht.«
»Ich würde ihn gern sehen.«
»Heute nicht. Morgen. Wir haben vereinbart, dass Ihr ausruht.«
»Danke für alles, Martí. Seid so liebenswürdig und sagt Aixa, sie möge hochkommen. Ihre Anwesenheit und ihre Musik trösten mich.«
»Dann ruht Euch aus.«
»Gute Nacht.«
Martí ging ins Erdgeschoss hinunter und lief zum großen Saal, wo ihn sein Freund Jofre erwartete. Der Seemann schaute durchs Fenster, und
als er Schritte hinter sich hörte, drehte er sich um. Er lächelte, und zahllose kleine Runzeln traten auf seinem gebräunten Gesicht hervor. Beide Männer umarmten sich mitten im Zimmer.
Sie setzten sich und unterhielten sich über die Abenteuer, die sie fern voneinander erlebt hatten.
»Dass man Baruch verurteilt hat, halte ich für die größte Niedertracht, die ein Richter begehen kann, und sein Blut wird über all jene kommen, die etwas mit dem Verbrechen zu tun hatten.«
»Dann wird mein Freund Bernat Montcusí bluttriefend zur Hölle fahren«, erklärte Martí traurig.
»Hatte er seine Hände im Spiel?«
»Er war der Hauptanstifter, und mir wird die Ehre zuteil, ihm als bevorzugte Zielscheibe zu dienen, seitdem ich ihm den Zapfhahn seiner Provisionen zugedreht habe.«
»Halte die Augen gut offen, Martí. Hinter dir lauert gewiss der Schatten des Todes.«
»Mach dir keine Sorgen. Ich kann auf mich aufpassen.«
»Leben ist ein ständiges Wagnis, und davon weißt du eine ganze Menge … Wann wird Baruch begraben?«
»Am Mittwochnachmittag in Montjuïc, wenn die Juden ganz mit ihrer Arbeit beschäftigt sind.«
Nun äußerte Martí die Sorge, die ihn in diesem Moment am meisten quälte.
»Ruth will dabei sein.«
»Das heißt wirklich, sich selbst in Schwierigkeiten zu bringen.«
»Auf jeden Fall nehmen viele Leute teil. Wenn sie sich zeigt, kompromittiert sie ihre Familie und vor allem ihre Schwäger.«
»Das verlangt, dass ihre Anwesenheit nicht auffallen darf.«
»Selbstverständlich.«
»Du musst sie überzeugen, dass sie darauf verzichtet.«
Martí schüttelte den Kopf.
»Das ist zwecklos.«
Eine Pause trat ein.
»Mir fällt etwas ein«, sagte Jofre und warf seinem Freund einen komplizenhaften Blick zu.
»Was meinst du?«
»Pass auf, Martí. Zwei Tage lang schaffen wir Amphoren mit dem schwarzen Öl von der Küste zu den Höhlen.«
»Ja und?«
»Eine ganze Wagenkolonne fährt beladen hin und kehrt leer zurück.«
»Ich begreife nicht, worauf du hinauswillst.«
»Nun, Ruth könnte auf einen Wagen klettern und sich unter einem Segeltuch verstecken. Am Friedhof würde sie heimlich aussteigen und sich an einen unauffälligen Platz stellen. Dort, allerdings etwas abseits, würde sie dem Begräbnis ihres Vaters zusehen, und wenn sich die Verwandten entfernen, könnte Rivka unter dem Vorwand, dass sie erschöpft sei, zu ihr kommen, um auszuruhen. Auf diese Weise könnte sie sich von ihrer Tochter verabschieden.«
»Ein glänzender Einfall. Lass mich noch einmal darüber nachdenken.«
Nachdem sie ihr Gespräch eine Weile fortgesetzt hatten, wollte Jofre gehen. Als er schon in der Tür war, sagte er als Letztes: »Übrigens, Rashid al-Malik hat mir erzählt, dass schon mehr als hundert Leute für dich am schwarzen See arbeiten und dass er nicht sterben möchte, bevor er Barcelona besucht und dir in seinem Namen und in dem seines Bruders für alle Wohltaten gedankt hat.«
105
Das Begräbnis
D ie düstere Karawane hatte das Call durch das Castellnou-Tor verlassen. Sie überquerte den Cagalell-Bach und wandte sich nach Montjuïc. Der Trauerzug war nicht übermäßig groß, denn viele jüdische Familien hatten es vorgezogen, sich von den Benvenists fernzuhalten. Die Glocken hatten das Nonegebet angekündigt, sodass für den Weg und die Zeremonie höchstens vier Stunden blieben, weil alle Juden vor dem Abendgebet ins Call zurückkehren mussten. Als sie zum Berghang gelangten, stiegen sie von den Wagen und gingen den Rest des Wegs zu Fuß. An der Spitze befanden sich die Witwe und die zwei verheirateten Töchter des Toten zusammen mit dem Rabbiner, der den Psalmengesang leiten sollte. Hinter ihnen kamen Esthers und
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