Das Vermächtnis des Martí Barbany
Geldverleihers, der erschauderte. Der Offizier befahl, die Richtstätte zu räumen.
Eudald näherte seine Lippen dem Ohr Baruchs.
»Möge Metatron Eure Neshama begleiten, damit sie heute Elohim begegnet.«
»Danke, Eudald, dass Ihr mich in der Religion meiner Vorfahren tröstet.«
»Alle Religionen führen zu demselben Gott, wenn unsere Taten gut waren.«
Der Offizier packte Eudald am Ellbogen und bedeutete ihm, dass er hinuntersteigen sollte.
»Leb wohl, mein Freund. Bis bald.«
Ein Bote brachte dem Offizier ein Pergament vom Richtertisch, und dieser blickte zum Gerichtsvorsitzenden hinüber. Der Richter nickte bestätigend. Der Offizier gab den Zettel an einen Ausrufer weiter, der aufs Gerüst stieg und das Urteil verlas. Danach unterstrich ein dröhnender Trommelwirbel den feierlichen Augenblick. Schweigen trat ein. Der Gerichtsvorsitzende erhob sich, blickte den Henker an und verkündete mit Donnerstimme den schrecklichen Befehl: »Man vollziehe das Urteil!«
Der Henker stieß das Gestell, auf dem der Verurteilte stand, mit einem Fußtritt fort. Baruch schaukelte wie eine zerbrochene Puppe am Ende des Stricks. In diesem Moment riss der Himmel auseinander, und der Regen prasselte stärker.
Ein Gerechter war gestorben.
SECHSTER TEIL
Wahrheit und Verrat
104
Die Trauerfeier
B envenists lebloser Körper blieb einen ganzen Tag hängen. Da man jeden Zwischenfall mit seiner Gemeinde vermeiden wollte, wurde er am Sonntag abgenommen und der Familie übergeben, wofür sich Eudald Llobet persönlich bei der Gräfin eingesetzt hatte. Von dieser Zeit an begann die dreißigtägige Frist, nach deren Ende die Familie und ihre Diener in die Verbannung gehen mussten, um dem Urteil Folge zu leisten.
In einem einfachen Wagen, den Baruchs treuer Kutscher Avimelech lenkte, kamen alle zum Leichenhaus der Hingerichteten. Eudald Llobet, Martí, Eleazar Bensahadon, der frühere Vorsteher der Geldverleiher, und der Schatzmeister Asher Ben Barcala gingen nach vorn, um den Leichnam zu übernehmen. Binyamin Haim, der Mann Esthers, wie auch Vater und Sohn Melamed zogen es vor, auf der Straße gegenüber dem Haus zu warten, um sich nicht zu kompromittieren.
Esther und Batsheva warteten zu Hause. Sie waren von Klageweibern umgeben, die mit ihren abgehackten Klagerufen den Schmerz der Familie während der Trauertage bekundeten. Sie bereiteten das Leichentuch vor, während sich ihre vom Schmerz gebrochene Mutter Rivka kaum um die Verwandten kümmern konnte, die zur Totenwache eintrafen.
Der Wagen rumpelte übers Pflaster, und das ließ die Anwesenden wissen, dass der schreckliche Moment gekommen war. Alle rannten zum Hintereingang, um den leblosen Leib des Gatten, Vaters und Freundes zu empfangen. Die Töchter hielten ihre Mutter an den Armen fest, damit sie nicht ohnmächtig zu Boden stürzte. Eudald, Martí, Eleazar und Asher nahmen die Griffe der Tragbahre, auf die der bescheidene Kiefernsarg gestellt wurde, und brachten ihn in Baruchs früheres Schlafzimmer. Auf Rivkas Bitte blieben Llobet und die Alten dort, um den Körper herzurichten, damit alle während der drei Tage, die bis zum Begräbnis blieben,
zu ihm kommen konnten. Baruch sollte auf dem Friedhof von Montjuïc seine letzte Ruhe finden, an einem Mittwoch, einem Arbeitstag, um mögliche Tumulte zu vermeiden.
In der ersten Nacht harrten dort nur die engsten Vertrauten aus, um auf diese Weise die drei Trauertage einzuleiten. Martí beschloss, heimzukehren und sich wieder mit seinen Arbeiten zu beschäftigen, weil ihn das traurige Ereignis von seinen Geschäften ferngehalten hatte und ihn die nicht mehr aufschiebbare Aufgabe erwartete, über Frachten und Zielhäfen zu entscheiden.
Im Licht der beiden großen Laternen an seiner Tür konnte er sehen, dass Omar zusammen mit zwei bewaffneten Dienern die Wageneinfahrt bewachte. Das wunderte ihn nicht, denn seit dem fehlgeschlagenen Geschäft mit den Maravedis war die Atmosphäre in der Stadt unerträglich geworden. Die Leute, die früher ein Lächeln oder Grüße ausgetauscht hatten, zogen sich überstürzt in ihre Häuser zurück und schauten über die Schulter, ob ihnen jemand folgte. Trotz der Straßenbeleuchtung hatten Raubüberfälle wieder stark zugenommen, und die Nachtwachen wurden gar nicht damit fertig, die Freunde fremden Eigentums dingfest zu machen. Man erzählte, die Verliese im Palau Menor seien überfüllt, und alle Räuber, die man auf den Wegen gefangen nehme, würden schnell in die beiden gerade erst
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