Das Vermächtnis des Martí Barbany
eine gewisse Neugier, die sich mit Argwohn vermischte.
Martí trat wieder zum Richtertisch und übergab den Brief. Als die Menge sah, dass die drei Richter das Schreiben von Hand zu Hand weiterreichten, und als sie die zurückhaltenden Kommentare mitbekam, die diese leise austauschten, ahnte sie, dass der entscheidende Moment des Prozesses gekommen war. Selbst die Grafen wirkten beunruhigt, weil die Richter so lange brauchten, und die Mitglieder der Curia Comitis blickten einander besorgt an.
Eusebi Vidiella, der das Amt des Sekretärs wahrnahm, erhob sich. »Wegen der schwerwiegenden Bedeutung des Beweisstücks rufen wir Don Bernat Montcusí erneut auf.«
Diesmal zeigte der Ratgeber eine ganz andere Haltung. Er schob seinen Stuhl heftig zurück und lief mit großen Schritten zum Tisch. Als er das Schriftstück las, verfärbte sich sein Gesicht.
»Das ist schändlich! Nichts als plumpe Lügen! Ich verlange, dass dieses falsche Beweisstück unverzüglich abgelehnt wird!«
Nachdem sich die Richter kurz beraten hatten, erhob sich der Sekretär.
»Wir werden diesen Beweis im kleinen Kreis prüfen, und danach …«
Die Stimme des Grafen unterbrach dessen Erklärung.
»Man soll das Schreiben laut verlesen. Diese Lis wurde als öffentliche Verhandlung einberufen, denn wir wollen den Bürgern Barcelonas nicht das Recht nehmen, alle Einzelheiten kennenzulernen.«
Richter Bonfill stand auf und verlas Laias Brief mit der schweren Anklage gegen ihren Stiefvater, die sich aus diesen bitteren Zeilen ergab. Es herrschte Grabesstille.
Als der Richter geendet hatte, sprang Montcusí auf und schrie wie ein Rasender.
»Lügen, absurde Täuschungen und Verleumdungen! Ich verlange von Martí Barbany, er soll gestehen, dass dieses üble Machwerk, mit dem er mich in Verruf bringen will, eine Fälschung ist!«
»Exzellenz, ich erinnere Euch daran, dass Ihr nicht das Wort habt«, ermahnte ihn Bonfill. Dann setzte er hinzu: »Bürger Martí Barbany von Montgrí, Euch bleibt Zeit, Eure Aussage zu berichtigen. Ihr habt das Wort.«
Martí stand langsam auf. Nun wusste er zum ersten Mal, dass er in diesem Prozess die Initiative übernommen hatte.
»Ich widerrufe von meiner Aussage keinen Punkt und kein Komma. Weder der Bürger Montcusí noch ich sind befähigt zu versichern, dass Laia Betancourt diesen Brief geschrieben hat. Aber da mein Gegner bestätigt hat, dass der andere Brief von ihrer eigenen Hand stammt, schlage ich vor, die hochangesehenen Gelehrten der Schola scriptorum in der Kathedrale zu beauftragen, die Echtheit zu beglaubigen.«
Die drei Richter berieten, als die kraftvolle Stimme Ramón Berenguers das Gemurmel im Saal übertönte.
»So sei es! Man soll auf diese Weise verfahren. Angesichts dieser unerwarteten Verzögerung vertagen wir die Verhandlung ausnahmsweise so lange, bis die ehrwürdigen Priester ihr Gutachten erstattet haben. Herr Sekretär, schließt die Sitzung.«
Der Richter schlug dreimal mit dem Hammer auf den Tisch. Martí wechselte einen Blick mit Llobet, der den Saal verließ, um Jofre, Omar und Manipoulos freudig zu umarmen. Inzwischen hatte das Füßescharren des Publikums eine Lautstärke erreicht, die den alten Seemann an das Getöse eines Sturms erinnerte.
119
Die göttliche Gerechtigkeit
D as Gutachten der Gelehrten fiel eindeutig aus. Beide Briefe waren von ein und derselben Hand geschrieben. Als der Sekretär den Bericht verlas, hörten die Anwesenden in atemloser Stille zu. Da das Gutachten die Echtheit des Schreibens beglaubigte, zeigte sich offenkundig, dass die Ehre Montcusís beeinträchtigt war. Von seinem Thron aus starrte ihn der Graf mürrisch und finster an. Was als ein unterhaltsamer Zeitvertreib begonnen hatte, bei dem er gewissermaßen den Scharfsinn und die List seines Ratgebers prüfen konnte, sah nun ganz danach aus, dass es als Drama endete. Man beobachtete, dass Bernat mit geistesabwesendem Blick an seinem Tisch saß. Die Stimme des Richters Fortuny brachte die Anwesenden in die Wirklichkeit zurück.
»Der Kläger soll sagen: Gibt es noch etwas, was Ihr vor dem Ende der Lis beantragen wollt und was mit dem Beklagten zu tun hat?«
»Ja, Eure Ehren.«
»Dann tut es.«
»Ich beantrage, die Ehre Baruch Benvenists, des Vorstehers der Geldverleiher, wiederherzustellen, der auf dem öffentlichen Platz hingerichtet wurde und einen höchst entehrenden Tod erlitt.«
Martís Worte schlugen ein wie ein Blitz, der dem Donner vorauseilt. Das Gewitter würde sogleich
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