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Das Vermaechtnis des Will Wolfkin

Das Vermaechtnis des Will Wolfkin

Titel: Das Vermaechtnis des Will Wolfkin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Knight
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reglos auf dem Kiesweg liegen blieb – bis Shipley kam und den kleinen Vogel vertilgte.
    Ich wünschte mir in diesem Sommer oft, eine Art himmlischer Shipley würde kommen und mich ebenfalls vertilgen. Ich hatte genug. Dieses Dahinvegetieren war doch nur Zeitverschwendung. Die Sache mit dem Brief hatte sich tiefgreifend auf meine Stimmung ausgewirkt, genau wie die Mutter Oberin es vorhergesagt hatte. Mit einer aussichtslosen Situation kann man sich abfinden, aber ein Hoffnungsschimmer, und sei er noch so schwach, kann Folter sein. Selbst Schwester Mary konnte mich nicht mehr trösten. Unsere telepathischen Schachspiele endeten meistens in griesgrämigem Schweigen. Sie konnte die Hoffnungslosigkeit in meinen Augen lesen, und als die kleinen Schwalben flügge waren, fiel auch ihr nichts mehr ein.
    Schließlich versuchte sie es mit einer Produktion von Schwester Marys fantastisches Theater der rätselhaften Begebenheiten . Das tat sie sonst nur bei besonderen Anlässen wie zu Weihnachten, an meinem Geburtstag oder wenn die Mutter Oberin wieder mal in Urlaub nach Polen fuhr. Dann brachte Schwester Mary mich in den Garten, wo die Vorstellungen stattfanden, und als ich klein war und mein Rollstuhl über die Schwelle der Hintertür ins Freie ruckelte, wurde ich so aufgeregt, dass ich jedes Mal das Gefühl hatte, meine Stimme sei plötzlich kräftig genug zum Schreien.
    Draußen im Garten brachte Schwester Mary mit einem Griff in ihre Taschen zwei Handpuppen zum Vorschein, die in der klösterlichen Waschmaschine anscheinend einen Schleudergang zu viel abbekommen hatten. Da gab es eine Art Teddybär, der nur ein Ohr hatte, für ihre linke Hand und ein Ding, das aussah wie ein Skunk oder ein Dachs, für ihre rechte Hand. Die Idee dieser kleinen Stücke ging immer davon aus, dass der einohrige Bär Schwester Mary war und der Dachs ich. Die Geschichten dachte sie sich vorher aus, und zu zweit reisten wir dann an abenteuerliche Orte mit Namen, die Schwester Mary witzig fand, zum Beispiel »Doktorhut« in Kanada oder »Walla Walla« in Australien oder ein winziges Dorf in Afrika mit dem Namen »Ewige Hoffnung«. Ich glaube, sie hat diese Namen von Schwestern, die einmal zu Besuch im Kloster waren.
    In allen Geschichten begegneten Schwester Mary und ich einem Bösewicht, der aber im Grunde gar nicht so böse war. Meistens handelte es sich um einen Straßenräuber, einen Piraten oder einen traurigen alten König. Doch anders als in meinen Mondabenteuern mit Shipley ging es in Schwester Marys Abenteuern friedlich zu, weil wir im entscheidenden Moment immer eine Möglichkeit fanden, den Bösewicht zur Umkehr zu überreden. In meinen eigenen Abenteuern wurden Bösewichte einfach erledigt – und fertig.
    Ich wusste, es war ein letzter Versuch, als sich Schwester Mary im Gemüsegarten auf einen harten Stuhl setzte und vor meinem ausdruckslosen Gesicht ihre zwei ramponierten Handpuppen aus der Tasche zog. Sie tat es wie ein Pistolenheld im Wilden Westen, wenn er unerwartet seine Revolver zieht. Fast bedauerte ich die zwei armseligen Stofffetzen, weil ihnen eine so unmögliche Aufgabe gestellt wurde. Schwester Mary fing an, eine Geschichte von einem »bösen Doktor« zu erzählen, der in einer Höhle weit weg in Island wohnte und der armen Kindern ihr Geld abknöpfte, wenn sie zufällig an seiner Höhle vorüberkamen oder seine Brücke überquerten. Sehr aufmerksam hörte ich nicht zu. Ich glaube, am Ende konnten wir ihm seine üblen Angewohnheiten »ausreden« und er wurde ein grundanständiger Doktor.
    Die gute Schwester Mary beendete die Aufführung mit einem kleinen Lied, das sie sich ausgedacht hatte, und während sie sang, wanderten meine Augen zu dem Nest an der Dachrinne, wo Look und Leave saßen und auf uns herabschauten. Es sah fast aus, als lauschten auch sie Schwester Marys Lied. Ich sehnte mich so sehr danach, dass die Geschichte und das Lied alles besser machen würden, aber der schwere Felsblock in meinem Innern wollte sich nicht von der Stelle rühren. Ich begriff, dass ich inzwischen zu groß war für Schwester Marys fantastisches Theater der rätselhaften Begebenheiten. Dieser Gedanke machte mich noch trauriger.
    Schwester Mary beendete ihr Lied und sah mich erwartungsvoll an, die Handpuppen an die Wangen gepresst. Der Augenblick zog sich hin. Freilich änderte sich nichts an meinem Gesichtsausdruck, doch Schwester Mary kannte mich gut genug, um zu wissen, dass auch die Magie ihres Theaters, diese letzte Möglichkeit,

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