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Das Vermächtnis von Erdsee

Das Vermächtnis von Erdsee

Titel: Das Vermächtnis von Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. Leguin
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etwas unter ihm stand.
    »Sag mir deinen Namen«, verlangte sie und er antwortete: »Teriel.«
    »Warum bist du gekommen, Teriel?«
    »Um euch zu zerstören.«
    Er starrte sie an, sah eine Frau mittleren Alters mit rundem Gesicht, klein und kräftig, mit Grau im Haar und dunklen Augen unter dunklen Brauen, Augen, die seinem Blick standhielten, ihm standhielten, ihm die Wahrheit aus dem Mund lockten.
    »Uns zerstören? Diesen Hügel zerstören? Die Bäume dort unten?« Sie schaute hinunter zu einem Wäldchen, nicht weit vom Hügel entfernt. »Segoy, der sie gemacht hat, kann sie vielleicht zerstören. Vielleicht wird die Erde sich selbst zerstören. Vielleicht wird sie schließlich durch unsere Hand zerstört. Aber nicht durch dich. Falscher König, falscher Drache, falscher Mann, komm nicht auf den Rokkogel, bevor du nicht weißt, auf welchem Grund du stehst.« Sie machte eine Bewegung mit der Hand, hinunter zur Erde. Dann machte sie kehrt und schritt durch das hohe Gras den Hügel hinunter, auf dem Weg, den sie gekommen war.
    Es befanden sich noch andere Menschen auf dem Hügel, das sah er jetzt, viele andere, Männer und Frauen, Kinder, Lebende und Geister von Toten; viele, sehr viele. Er hatte Angst vor ihnen und hockte sich nieder, versuchte einen Zauber zu wirken, der ihn vor ihnen allen verbergen sollte.
    Aber er wirkte keinen Zauber. Es war keine Zauberkraft mehr in ihm. Sie war fort, aus ihm herausgelaufen in diesen schrecklichen Hügel, in diesen schrecklichen Boden unter ihm, einfach fort. Er war kein Zauberer, nur ein Mensch wie alle anderen, machtlos.
    Er wusste das, wusste es ganz genau. Obwohl er immer noch versuchte, Zaubersprüche zu sagen, die Arme zur Anrufung erhob und wütend durch die Luft fuchtelte. Dann sah er nach Osten, hielt angestrengt Ausschau nach dem blitzenden Schlag der Ruder, nach den Segeln der Schiffe, die kommen sollten, um diese Leute zu strafen und ihn zu retten.
    Doch er sah nur Dunst über dem Wasser, über dem Horizont jenseits der Bucht. Als er genauer hinsah, verdichtete sich dieser und wurde dunkler, breitete sich kriechend über die trägen Wellen aus.
     
    In ihrem Lauf um die Sonne wird es auf der Erde Tag und Nacht, aber in ihrem Innern gibt es keinen Tag. Medra ging durch die Nacht. Er war sehr lahm und konnte das Werlicht nicht aufrechterhalten. Wenn es ausging, musste er Halt machen, sich setzen und schlafen. Schlaf war nie der Tod, wie er imigier wieder dachte. Er wachte auf, immer war ihm kalt, immer hatte er Schmerzen und immer Durst, und wenn er etwas Licht machen konnte, stand er auf und ging weiter. Er sah Anieb nie, aber er wusste, dass sie da war. Er folgte ihr. Manchmal kam er durch große Räume. Manchmal kam er an Teiche mit stehendem Wasser. Es fiel schwer, die Reglosigkeit ihrer Oberfläche zu stören, aber er trank daraus. Ihm kam es so vor, als sei er eine ganze Weile immer tiefer hinunter gegangen, bis er den längsten dieser Teiche erreichte, und anschließend wieder aufwärtsgegangen. Manchmal schritt Anieb jetzt hinter ihm. Er konnte ihren Namen sagen, obgleich sie nicht antwortete. Den anderen Namen konnte er nicht sagen, aber er konnte an die Bäume denken; an die Wurzeln dieser Bäume. Dies war das Reich der Baumwurzeln. Wie weit reicht der Wald? So weit der Wald reicht. So lang wie ein Leben, so tief wie die Wurzeln der Bäume. So lang, wie Blätter Schatten werfen. Hier gab es keine Schatten, nur Dunkelheit, aber er ging weiter und weiter voran, bis er Anieb vor sich sah. Er sah das Blitzen ihrer Augen. Sie schaute einen Moment lang zurück zu ihm, wandte sich dann zur Seite und lief leichtfüßig eine lange, steile Schräge hinunter in die Dunkelheit.
    Wo er stand, war es nicht völlig dunkel. Luft strich ihm ums Gesicht. Weit voraus war klein und schwach ein anderes Licht als das Werlicht zu erkennen. Er ging weiter. Er war jetzt lange Zeit auf allen vieren gekrochen, hatte das rechte Bein nachgeschleppt, das sein Gewicht nicht mehr trug. Er kroch weiter. Er roch den Abendwind und sah zwischen den Zweigen und dem Laub der Bäume den Abendhimmel. Eine gekrümmte Eichenwurzel bildete den Ausgang aus der Höhle, gerade so groß, dass ein Mensch oder ein Dachs hindurchschlüpfen konnten. Er kroch hindurch. Da lag er unter der Baumwurzel und sah das Licht verblassen und einen Stern oder zwei auftauchen zwischen den Blättern.
    Dort fand ihn Hund, meilenweit vom Tal entfernt, westlich von Samory, am Rand des großen Faliem-Waldes.
    »Hab ich dich

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