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Das Vermächtnis von Erdsee

Das Vermächtnis von Erdsee

Titel: Das Vermächtnis von Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. Leguin
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brüllen, wie früher. Aufrecht stehen! Hat jahrelang nicht gestanden. Befehle brüllen! Und einige taten, was er wollte, andere nicht. Da machte ich mich aus dem Staub, denn solche Situationen sind immer gefährlich in einem Palast. Dann bin ich zu Freunden von mir gegangen und habe nachgefragt, wo der alte Früh steckt und ob die Flotte in Rok gewesen und zurückgekommen ist und das alles. Früh?, fragten sie. Keiner wusste etwas über Früh. Kein Zeichen von ihm oder eine Nachricht über ihn. Vielleicht könne ich ihn ja finden, sagten sie, und zogen mich auf, hmhm. Sie wissen, dass ich ihn liebe. Von den Schiffen sind einige zurückgekommen, und die Männer an Bord erzählten, sie seien gar nicht bis Rok gekommen. Hätten es nie gesehen, seien geradewegs durchgesegelt. Wo den Seekarten nach die Insel lag, da gab es keine Insel. Dann waren da ein paar Männer von den drei großen Galeeren. Die berichteten, dicht bei der Stelle, wo die Insel liegen sollte, seien sie in einen dichten Nebel geraten, so dick wie nasse Kleider, und das Meer sei dickflüssig geworden, sodass die Ruderer die Ruder kaum mehr durchziehen konnten, und darin seien sie einen Tag und eine Nacht lang gefangen geblieben. Als sie herauskamen, war kein anderes Schiff der ganzen Flotte auf See, und die Sklaven waren einer Meuterei nahe; so kehrte der Meister so schnell wie möglich zurück. Ein anderes Schiff, die Sturmwolke, früher Losens Lieblingsschiff, lief ein, während ich dort war. Ich redete mit den Männern, die von Bord gingen. Sie sagten, rings um die Stelle, wo Rok liegen sollte, habe es nur Nebel und Felsenriffe gegeben; daher seien sie mit sieben anderen Schiffen nach Süden gesegelt und dort mit einer Flotte zusammengetroffen, die von Wathort heraufkam. Vielleicht hatten die Lords dort das Gerücht gehört, eine große Flotte komme zum Plündern, denn sie hielten gar nicht an, um Fragen zu stellen, sondern legten gleich
    Zauberfeuer an unsere Schiffe und drehten bei, um uns zu rammen. Die Männer, mit denen ich sprach, erzählten, es sei schwer gewesen, von ihnen loszukommen, und nicht allen ist es gelungen. Die ganze Zeit über hörten sie auch nicht ein Wort über Früh, und kein Wetter wurde für sie gemacht, bis ihr eigener Mann mit dem Beutel an Bord ging. So kamen sie das ganze Innenmeer herauf, sagte der Mann von der Sturmwolke, schipperten hintereinander her wie Hunde, die einen Kampf verloren haben. Nun, gefallen dir diese Nachrichten?«
    Otter hatte mit den Tränen gekämpft. Er verbarg sein Gesicht. »Ja«, sagte er, »danke.«
    »Hab ich mir fast gedacht. Was König Losen angeht«, sagte Hund, »wer weiß.« Er schniefte und seufzte. »Ich an seiner Stelle würde mich zur Ruhe setzen«, sagte er. »Ich denke, ich für meinen Teil werde das auch tun.«
    Otter hatte sich wieder gefasst. Er wischte sich Augen und Nase, räusperte sich und sagte: »Das ist ein guter Einfall. Komm mit nach Rok. Dort ist es sicherer.«
    »Scheint aber schwer zu finden zu sein, dieser Ort«, gab Hund zu bedenken.
    »Ich finde ihn.«
     

4. Medra
     
    Da war ein alter Mann an unserm Tor,
    der öffnete Arm und Reich;
    viele kamen, die waren groß und klein zugleich,
    doch nur wenige gehen ein durch Medras Tor.
    So läuft das Wasser fort und fort,
    so läuft das Wasser fort.
     
    Hund blieb in Endweg. Er hatte dort als Finder ein gutes Auskommen, er mochte die Schenke und die Gastfreundschaft von Otters Mutter.
    Anfang Herbst baumelte Losen an einem Strick um die Füße in einem der Fenster des Königspalasts und verweste dort, während sich sechs Kriegsherren um sein Königreich stritten und die Schiffe der großen Flotte einander in den Meerengen der von Zauberkräften aufgerührten See jagten und bekämpften.
    Doch die Hoffnung, von zwei jungen Zauberern der Hand aus Havnor gesegelt und gesteuert, brachte Medra sicher durch das Innenmeer nach Rok.
    Amber erwartete ihn am Kai. Lahm und sehr mager ging er auf sie zu und nahm ihre Hände, konnte ihr aber nicht ins Gesicht schauen. Er sagte: »Ich habe zu viele Tode auf dem Herzen, Elehal.«
    »Komm mit mir in den Hain«, bat sie.
    Gemeinsam gingen sie dorthin und blieben, bis der Winter hereinbrach. Im folgenden Jahr bauten sie ein kleines Haus am Ufer des Thwilbachs, der im Hain entsprang, und die Sommer verbrachten sie dort.
    Sie arbeiteten und unterrichteten im Großhaus. Sie sahen es wachsen Stein für Stein, jeder Ziegel durchdrungen und gehärtet von Zaubern für Schutz, Dauer und Frieden.

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