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Das Versprechen der Kurtisane

Das Versprechen der Kurtisane

Titel: Das Versprechen der Kurtisane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cecilia Grant
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auf die Schulter legte, weil einem keine tröstenden Worte mehr einfielen.
    Dann wieder war die Hölle eine Schlacht, der Lärm und der Gestank und die gefallenen Kameraden. Dann war sie die Suche nach Überlebenden, und dann das lange Warten mit Talbot, die völlige Erschöpfung, die schwindende Hoffnung auf Hilfe und die Verzweiflung, die ihn schließlich dazu veranlasst hatte, den Mann hierherzutragen. Bei klarem Verstand hätte er diesen Fehler nicht begangen.
    Bei klarem Verstand hätte er auch nicht den Fehler begangen, sich einzubilden, dass er bereits die Hölle erlebt hätte.
Das hier
war die Hölle: die Abteilung für hoffnungslose Fälle in diesem Kirchenlazarett, gebrochene Männer, die wie menschlicher Abfall einfach auf die Steine geworfen worden waren, nach Gott oder nach ihren Müttern schrien und vergeblich auf Gnade warteten.
    Nein. Wenn er diese Gedanken nicht loswurde, würde er in seiner Verzweiflung ertrinken, und er hatte Besseres zu tun. »Bitte.« Der Arzt stand bereits auf, jetzt war die letzte Gelegenheit, herauszufinden, wie er ihn dazu bewegen konnte,
irgendetwas
für den Mann zu tun, den er in diese Hölle getragen hatte. »Er ist einer meiner Männer. Ich bin für ihn verantwortlich. Er hat Frau und Kinder.«
    »Herrgott, Herr Leutnant, sehen Sie sich doch mal um!
Jeder
von diesen Männern wird jemanden zurücklassen.
Jeder
von ihnen wird auf dem Gewissen irgendeines Leutnants oder Sergeants oder Colonels lasten, der vielleicht irgendetwas hätte anders machen können.« Der Feldscher streckte in der Dunkelheit die Hand aus und berührte Will am Ärmel. Es war tröstlich gemeint. »Die Wahrheit ist: Auch mit einer Trage wäre es schwer gewesen, ihn sicher zu transportieren. Es hätte womöglich genauso geendet.« Auch das war tröstlich gemeint, erkannte er dumpf. »Sie haben getan, was Sie konnten. Ich schlage vor, dass Sie sich jetzt erst mal hinlegen.«
    Das war’s also. Er würde Talbot sterben lassen. Den Trägern hätte das Gleiche passieren können, doch Will war ihnen zuvorgekommen, ganz eindeutig. »Warten Sie.« Jetzt war es seine Hand, die nach dem Arzt griff, um ihn aufzuhalten. Er flüsterte jetzt absichtlich. »Können Sie ihm nicht wenigstens irgendwas geben? Opium? Er hat schreckliche Schmerzen.«
    Doch – gütiger Gott! – er kannte die Antwort bereits, als er die Worte hervorkrächzte. Jeder verdammte Mann hier, der noch atmete, hatte schreckliche Schmerzen, und das Opium musste für die Amputationen aufgespart werden. »Es tut mir leid«, sagte der Doktor, und Will konnte nur die Hand sinken lassen und ihm nachblicken.
    Aus dem Augenwinkel sah er, wie Talbots Brust sich noch immer hob und senkte, eine Verstärkung seines angestrengten Herzschlags. Wann würde es aufhören? Er hätte fragen sollen. Er rieb sich mit der Hand über das Gesicht, vom Scheitel über die Augen, die unrasierten Wangen, die matten Lippen bis zum Kinn. Dann drehte er sich um und kniete sich dorthin, wo der Doktor gekniet hatte.
    »Ich bringe dich hier raus.« Der Mann hatte die Augen geschlossen, doch sein Mund zuckte und er brachte eine Art Nicken zustande. »Hier gibt es zu viele Verwundete, und die können keinen Feldscher erübrigen, nicht mal Opium. Du hast hier nichts mehr verloren.«
Für dich besteht keine Hoffnung.
Was würde es bringen, ihm das zu sagen? »Vielleicht finden wir ein anderes Lazarett, mit besserer Versorgung. Vielleicht wenigstens ein bisschen Gin.«
    Gin. Unwahrscheinlich. Jedenfalls, wenn er nicht vorhatte, die Leichen nach einer Flasche zu durchsuchen. Was ihm vielleicht irgendwann zwischen jetzt und Talbots letztem Atemzug gar nicht mehr so unsinnig vorkommen dürfte.
    Erschöpft raffte Will sich von der Bank auf und strauchelte beinahe, nicht unter dem Gewicht des Mannes, sondern unter der Last dessen unangebrachten Vertrauens. Während er sich zwischen toten und lebenden Körpern seinen Weg zum Ausgang suchte, beschlich ihn eine üble Vorahnung: Womöglich stand ihm die schlimmste Höllenvision erst noch bevor.

1
    März 1816
    Drei der Kurtisanen waren schön. Sein Blick ruhte natürlich auf der vierten. Alte Angewohnheiten waren schwer abzulegen, trotz allem, was das Leben sich einfallen ließ.
    Will hatte einen Ellbogen auf dem Tisch und stützte den Kopf in die Handfläche – eine Geste, die vollstes Vertrauen in sein Spiel ausdrückte und ihm zudem einen Blick an seinem Gegenüber vorbei auf die Damen ermöglichte. Ohne jegliche Hintergedanken natürlich.

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