Das Versprechen
dem Höhepunkt seiner Karriere. Es hatte mit ihm beim Departement einige Schwierigkeiten gegeben. Der Regierungsrat mußte damals langsam an meine Pensionierung denken und somit auch an meinen Nachfolger. Eigentlich wäre nur Matthäi in Frage gekommen. Doch stellten sich der zukünftigen Wahl Hindernisse entgegen, die nicht zu übersehen waren. Nicht nur, daß er keiner Partei angehörte, auch die Mannschaft hätte wohl Schwierigkeiten gemacht. Anderseits bestanden aber oben wiederum Hemmungen, einen so tüchtigen Beamten zu übergehen; weshalb denn die Bitte des jordanischen Staates an die Eidgenossenschaft, nach Amman einen Fachmann zu schicken, mit dem Auftrage, die dortige Polizei zu reorganisieren, wie gerufen kam: Matthäi wurde von Zürich vorgeschlagen und sowohl von Bern als auch von Amman akzeptiert. Alles atmete erleichtert auf. Auch ihn freute die Wahl, nicht nur beruflich. Er war damals fünfzigjährig -etwas Wüstensonne tat gut; er freute sich auf die Abreise, auf den Flug über Alpen und Mittelmeer, dachte wohl überhaupt an einen endgültigen Abschied, deutete er doch an, daß er nachher zu seiner Schwester in Dänemark ziehen wolle, die dort als Witwe lebte - und war eben mit der Liquidierung seines Schreibtisches im Gebäude der Kantonspolizei in der Kasernenstraße beschäftigt, als der Anruf kam.
Matthäi wurde nur mit Mühe aus dem verworrenen Bericht klug, setzte der Kommandant seine Erzählung fort. Es war einer seiner alten »Kunden«, der aus Mägendorf anrief, aus einem kleinen Nest in der Nähe von Zürich, ein Hausierer namens von Gunten. Matthäi hatte eigentlich keine Lust, sich noch an seinem letzten Nachmittag in der Kasernenstraße mit dem Fall zu befassen, war doch das Flugbillett schon gelöst und der
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Abflug in drei Tagen fällig. Aber ich war abwesend, auf einer Konferenz der Polizeikommandanten, und erst gegen Abend aus Bern zurück zu erwarten. Richtiges Handeln war notwendig, Unerfahrenheit konnte alles vereiteln. Matthäi ließ sich mit dem Polizeiposten Mägendorf verbinden. Es war gegen Ende April, draußen rauschten Regengüsse nieder, der Föhnsturm hatte nun auch die Stadt erreicht, doch wich die unangenehme, bösartige Wärme nicht, welche die Menschen kaum atmen ließ.
Der Polizist Riesen meldete sich.
»Regnet es in Mägendorf auch?« fragte Matthäi vorerst unmutig, obgleich die Antwort zu erraten war, und sein Gesicht wurde noch düsterer. Dann gab er die Anweisung, den Hausierer im Hirschen unauffällig zu bewachen.
Matthäi hängte auf.
»Etwas passiert?« fragte Feller neugierig, der seinem Chef beim Packen half. Es galt, eine ganze Bibliothek fortzuschaffen, die sich nach und nach angesammelt hatte.
»Auch in Mägendorf regnet es«, antwortete der Kommissär,
»alarmieren Sie das Überfallkommando.«
»Mord?«
»Regen ist eine Schweinerei«, murmelte Matthäi anstelle einer Antwort, gleichgültig gegen den beleidigten Feller.
Bevor er jedoch zum Staatsanwalt und zu Leutnant Henzi in den Wagen stieg, die ungeduldig warteten, blätterte er in von Guntens Akten. Der Mann war vorbestraft. Sittlichkeitsdelikt an einer Vierzehnjährigen.
Doch schon der Befehl, den Hausierer zu überwachen, erwies sich als ein Fehler, der in keiner Weise vorauszusehen war.
Mägendorf stellte ein kleines Gemeinwesen dar. Die meisten waren Bauern, wenn auch einige in den Fabriken unten im Tal arbeiteten oder in der nahen Ziegelei. Zwar gab es einige
»Städter«, die hier draußen wohnten, zwei, drei Architekten, einen klassizistischen Bildhauer, doch spielten sie im Dorf keine Rolle. Alles kannte sich, und die meisten waren miteinander
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verwandt. Mit der Stadt lag das Dorf im Konflikt, wenn auch nicht offiziell, so doch heimlich; denn die Wälder, die Mägendorf umgaben, gehörten der Stadt, eine Tatsache, die kein richtiger Mägendorfer je zur Kenntnis genommen, was der Forstverwaltung einst viele Sorgen gemacht hatte. Sie war es denn gewesen, die vor Jahren für Mägendorf einen Polizeiposten gefordert und erlangt hatte, wozu noch der Umstand gekommen war, daß an den Sonntagen die Städter das Dörfchen in Strömen annektierten und der Hirschen auch nachts viele anlockte. Dies alles erwogen, mußte der stationierte Polizeimann sein Handwerk verstehen, doch war anderseits dem Dorfe menschlicherweise auch
entgegenzukommen. Diese Einsicht war dem Polizeisoldaten Wegmüller, den man ins Dorf beorderte, bald aufgegangen. Er stammte aus einer Bauernfamilie,
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