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Das Versprechen

Das Versprechen

Titel: Das Versprechen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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trank viel und hielt seine Mägendorfer souverän im Zaum, mit so vielen Konzessionen freilich, daß ich eigentlich hätte einschreiten sollen, doch sah ich in ihm - auch etwas durch den Personalmangel gezwungen
    - das kleinere Übel. Ich hatte Ruhe und ließ Wegmüller in Ruhe.
    Doch hatten seine Stellvertreter - wenn er in den Ferien war -
    nichts zu lachen. Sie machten in den Augen der Mägendorfer alles falsch. Wenn auch die Wildereien und Holzdiebstähle in den städtischen Forstgebieten und die Raufereien im Dorfe seit der Hochkonjunktur längst zur Legende gehörten, der traditionelle Trotz gegen die Staatsgewalt glomm unter der Bevölkerung weiter. Besonders Riesen hatte es diesmal schwer. Er war ein einfältiger Bursche, schnell beleidigt und humorlos, den ständigen Witzeleien der Mägendorfer nicht gewachsen und eigentlich auch für normale Gegenden zu sensibel. Er machte sich aus Furcht vor der Bevölkerung unsichtbar, hatte er die täglichen Dienstgänge und Kontrollen hinter sich gebracht. Unter diesen Umständen mußte es sich als unmöglich erweisen, den Hausierer unauffällig zu beobachten. Das Erscheinen des Polizisten im Hirschen, den er sonst ängstlich mied, kam von vornherein einer Staatsaktion gleich. Riesen setzte sich denn auch so demonstrativ dem Hausierer gegenüber, daß die Bauern neugierig verstummten.
    »Kaffee?« fragte der Wirt.
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    »Nichts«, antwortete der Polizist, »ich bin dienstlich hier.«
    Die Bauern starrten neugierig auf den Hausierer.
    »Was hat er denn gemacht?« fragte ein alter Mann.
    »Das geht Sie nichts an.«
    Die Gaststube war niedrig, verqualmt, eine Höhle aus Holz, die Wärme drückend, doch machte der Wirt kein Licht. Die Bauern saßen an einem langen Tisch, vielleicht vor Weißwein, vielleicht vor Bier, nur als Schatten vor den silbrigen Fensterscheiben sichtbar, an denen es niedertropfte, niederfloß. Irgendwo das Klappern von Tischfußball. Irgendwo das Klingeln und Rollen eines amerikanischen Spielautomaten.
    Von Gunten trank einen Kirsch. Er fürchtete sich. Er saß zusammengekauert im Winkel, den rechten Arm auf den Henkel seines Korbes gestützt, und wartete. Es schien ihm, als säße er schon stundenlang hier. Alles war dumpf und still, doch drohend. In den Fensterscheiben wurde es heller, der Regen ließ nach, und plötzlich war die Sonne wieder da. Nur der Wind heulte noch und rüttelte am Gemäuer. Von Gunten war froh, als draußen endlich die Wagen vorfuhren.
    »Kommen Sie«, sagte Riesen und erhob sich. Die beiden traten hinaus. Vor der Wirtschaft warteten eine dunkle Limousine und der große Wagen des Überfallkommandos; die Sanität folgte.
    Der Dorfplatz lag in der grellen Sonne. Am Brunnen standen zwei Kinder, fünf- oder sechsjährig, ein Mädchen und ein Bub, das Mädchen mit einer Puppe unter dem Arm. Der Knabe mit einer kleinen Geißel.
    »Setzen Sie sich neben den Chauffeur, von Gunten!« rief Matthäi zum Fenster der Limousine hinaus, und dann, nachdem der Hausierer aufatmend, als wäre er nun in Sicherheit, Platz genommen und Riesen den andern Wagen bestiegen hatte:
    »So, nun zeigen Sie uns, was Sie im Walde gefunden haben.«
    Sie gingen durchs nasse Gras, da der Weg zum Walde ein einziger schlammiger Tümpel war, und umgaben kurz darauf den kleinen Leichnam, den sie zwischen Büschen, nicht weit vom Waldrand entfernt, im Laub fanden. Die Männer schwiegen. Von den tosenden Bäumen fielen immer noch
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    große silberne Tropfen, glitzerten wie Diamanten. Der Staatsanwalt warf die Brissago weg, trat verlegen darauf. Henzi wagte nicht hinzuschauen. Matthäi sagte: »Ein Polizeibeamter blickt nie weg, Henzi.«
    Die Männer bauten ihre Apparate auf.
    »Es wird schwierig sein, nach diesem Regen Spuren zu finden«, sagte Matthäi.
    Plötzlich standen der Bub und das Mädchen mitten unter den Männern, starrten hin, das Mädchen immer noch mit der Puppe im Arm und der Knabe immer noch mit seiner Geißel.
    »Führt die Kinder weg.«
    Ein Polizist brachte die beiden an der Hand auf die Straße zurück. Dort blieben die Kinder stehen.
    Vom Dorf her kamen die ersten Leute, der Hirschenwirt schon von weitem an der weißen Schürze erkennbar.
    »Sperrt ab«, befahl der Kommissär. Einige stellten Posten auf.
    Andere suchten die nächste Umgebung ab. Dann zuckten die ersten Blitzlichter.
    »Kennen Sie das Mädchen, Riesen?«
    »Nein, Herr Kommissär.«
    »Haben Sie es im Dorfe schon gesehen?«
    »Ich glaube, Herr Kommissär.«
    »Ist das

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