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Das Versprechen

Das Versprechen

Titel: Das Versprechen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Pantoffeln. Er stierte
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    vor sich hin, verblödet, und ich roch schon von weitem den Schnaps. Absinth. Um die Steinbank herum war das Pflaster mit Zigarrenstummeln bedeckt, die im Schmelzwasser schwammen.
    »Grüß Gott«, sagte der Kommandant auf einmal verlegen, wie mir schien. »Füllen Sie bitte auf. Super. Und reinigen Sie auch die Scheiben.« Dann wandte er sich zu mir. »Gehen wir hinein.«
    Erst jetzt bemerkte ich über dem einzigen sichtbaren Fenster ein Wirtshausschild, eine rote Blechscheibe, und über der Türe war zu lesen: Zur Rose. Wir betraten einen schmutzigen Korridor. Gestank von Schnaps und Bier. Der Kommandant ging voran, öffnete eine Holztüre, offenbar kannte er sich aus.
    Die Gaststube war armselig und dunkel, einige rohe Tische und Bänke, an den Wänden Filmstars, aus Illustrierten herausgeschnitten und an die Mauer geklebt; der österreichische Rundfunk gab einen Marktbericht für Tirol durch, und hinter der Theke stand kaum erkennbar eine hagere Frau. Sie trug einen Morgenrock, rauchte eine Zigarette und spülte die Gläser.
    »Zwei Kaffee-Creme«, bestellte der Kommandant.
    Die Frau begann zu hantieren, und aus dem Nebenzimmer kam eine schlampige Kellnerin, die ich auf etwa dreißig schätzte.
    »Sie ist sechzehn«, brummte der Kommandant.
    Das Mädchen servierte. Es trug einen schwarzen Rock und eine weiße, halb offene Bluse, unter der es nichts anhatte; die Haut war ungewaschen. Die Haare waren blond wie wohl auch einmal die der Frau hinter der Theke und ungekämmt.
    »Danke, Annemarie«, sagte der Kommandant und legte das Geld auf den Tisch. Auch das Mädchen antwortete nicht, bedankte sich nicht einmal. Wir tranken schweigend. Der Kaffee war entsetzlich. Der Kommandant zündete sich eine Bahianos an. Der österreichische Rundfunk war zum Wasserstand übergewechselt und das Mädchen ins Nebenzimmer gelatscht, in welchem wir etwas Weißliches schimmern sahen, offenbar ein ungemachtes Bett.
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    »Gehen wir«, meinte der Kommandant.
    Draußen zahlte er nach einem Blick auf die Tanksäule. Der Alte hatte Benzin nachgefüllt und auch die Scheiben gereinigt.
    »Das nächste Mal«, sagte der Kommandant zum Abschied, und wieder fiel mir seine Hilflosigkeit auf; doch antwortete der Alte auch jetzt nichts, sondern saß schon wieder auf seiner Bank und stierte vor sich hin, verblödet, erloschen. Als wir aber den Opel Kapitän erreicht hatten und uns noch einmal umwandten, ballte der Alte seine Hände zu Fäusten, schüttelte sie und flüsterte, die Worte ruckweise hervorstoßend, das Gesicht verklärt von einem unermeßlichen Glauben: »Ich warte, ich warte, er wird kommen, er wird kommen.«
    Um ehrlich zu sein, begann Dr. H. später, als wir uns anschickten, über den Kerenzerpaß zu kommen - die Straße war aufs neue vereist, und unter uns lag der Walensee, gleißend, kalt, abweisend; auch hatte sich die bleierne Müdigkeit des Medomins wieder eingestellt, die Erinnerung an den Rauchgeschmack des Whiskys, das Gefühl, in einem Traum endlos sinnlos dahinzugleiten - um ehrlich zu sein, ich habe nie viel von Kriminalromanen gehalten und bedaure, daß auch Sie sich damit abgeben. Zeitverschwendung. Was Sie gestern in Ihrem Vortrag ausführten, läßt sich zwar hören; seit die Politiker auf eine so sträfliche Weise versagen - und ich muß es ja wissen, bin selbst einer, Nationalrat, wie Ihnen bekannt sein dürfte [es war mir nicht bekannt, ich hörte seine Stimme wie von ferne, verschanzt hinter meiner Müdigkeit, doch aufmerksam wie ein Tier im Bau] - hoffen die Leute eben, daß wenigstens die Polizei die Welt zu ordnen verstehe, wenn ich mir auch keine lausigere Hoffnung vorstellen kann. Doch wird leider in all diesen Kriminalgeschichten ein noch ganz anderer Schwindel getrieben. Damit meine ich nicht einmal den Umstand, daß eure Verbrecher ihre Strafe finden. Denn dieses schöne Märchen ist wohl moralisch notwendig. Es gehört zu den staatserhaltenden Lügen, wie etwa auch der fromme Spruch, das Verbrechen lohne sich nicht - wobei man doch nur die menschliche Gesellschaft zu betrachten braucht, um die Wahrheit über diesen Punkt zu erfahren -, all dies will ich
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    durchgehen lassen, und sei es auch nur aus Geschäftsprinzip, denn jedes Publikum und jeder Steuerzahler hat ein Anrecht auf seine Helden und sein Happy-End, und dies zu liefern, sind wir von der Polizei und ihr von der Schriftstellerei gleicherweise verpflichtet. Nein, ich ärgere mich vielmehr über die Handlung

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