Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe]
durch die Menschenmenge bis hin zu einem Pferdegatter, auf dessen Pforte ein bärtiger Mann im Fellmantel saß. Die Pferde, die Gideon erstand, waren nicht groß, aber stämmig. Um den Preis ein wenig zu drücken, erzählte er dem Händler eine Spottgeschichte auf Camora, in der es darum ging, wie Camora erfolglos gegen seinen Schatten kämpfte, weil der genauso schwarz war wie er selbst. Gideon verstand sich aufs Geschichtenerzählen, und sich die Augen wischend, gewährte der Händler tatsächlich einen Nachlass auf Pferde und Sattelzeug und verwies ihn weiter an seinen Freund Bard, der ihnen wirklich gute Winterkleidung verkaufen konnte. Er solle nur sagen, er käme auf persönliche Empfehlung von Lurd, dann würde er nicht übervorteilt werden.
Der Hinweis erwies sich als Volltreffer. Bard nickte sofort mit Verschwörermiene, überließ den Stand seinem Gehilfen und zog den Verianer in ein Haus. Zwischen Fellen, die zum Trocknen auf Gerüste gespannt waren, breitete er auf einem Tisch weiße Mäntel aus dem Fell der Schneewölfe vor ihm aus, in die ein Futter aus gewebter Schafswolle genäht war: das Beste und Wärmste, das man sich vorstellen konnte! Nach einer Anprobe glaubte Gideon ihm sofort. Auch lederne Beinkleider, die ebenfalls weich gefüttert waren, führte Bard im Angebot. Eher scherzhaft fragte er, ob sich auch eine Frau in der Gruppe befände. Als Gideon bejahte, zeigte ihm der Händler mit einem anzüglichen Lächeln eine Art Hosenrock: Weit geschnitten sah er aus wie ein Rock, eignete sich durch die Hosenform jedoch gut zum Reiten. Außerdem war er unter dem Leder zweifach gefüttert, weil Frauen ja schneller froren.
Der Verianer übersah das erneute, anzügliche Grinsen, nickte begeistert und hoffte inständig, dass Prinzessin Caitlin das ungewöhnliche Ding nicht umgehend zerreißen und wieder nach ihrem Hauptmann Cornelius brüllen würde.
Bard packte gut gelaunt noch ein paar Felldecken als Zugabe auf die Mäntel. Er verkaufte schließlich nicht alle Tage drei der teuersten Winterausrüstungen auf einmal.
Lurds Sohn hatte in der Zwischenzeit die drei gesattelten Pferde und das Packpferd gebracht. Gemeinsam luden sie Zelt, Mäntel, Stiefel, Handschuhe, wollene Unterkleidung und Decken auf. Auf Gideons Frage, wo er am besten Vorräte erstehen könnte, bot der Knabe freundlich an, ihn zum allerehrlichsten Krämer Kairans zu bringen. Der Verianer nahm das Angebot gern an. Der Proviant war schnell zusammengestellt. Gideon freute sich, entgegen seiner Erwartung auch seinen Vorrat an Kräutern für verschiedene Anwendungen aufstocken zu können. Hier im Norden waren die seltenen Kräuter allerdings teurer als der gesamte übrige Proviant. Lurds Sohn konnte nur den Kopf schütteln über einen Mann, der so viele Kromtaler für welkes Unkraut zahlte.
Der Verianer drückte dem Jungen nach Beendigung seiner Einkäufe eine kleine Münze in die Hand. »Sei so nett und bring die Pferde zu meinem Gasthof, ja!«
»Gern, Meister! Wo seid Ihr abgestiegen?«
Gideon stutzte, lachte verlegen auf und kam sich unglaublich dämlich vor. Jetzt hatte er tatsächlich den Namen der Herberge vergessen. Er vergaß nie etwas, und nun das!
Der Junge schüttelte belustigt den Kopf und begann, die verschiedenen Gasthäuser aufzuzählen, die er kannte. Der Verianer unterbrach ihn plötzlich: »Sagtest du eben Zur kalten Sonne? Wo ist das?«
»Ihr wisst auch nicht mehr, wo Euer Gasthof ist?«, fragte der Knabe ungläubig und kratzte sich am Kopf. »Wollt Ihr wirklich in die Berge, Herr?«
Gideon strahlte ihn an. »Ich weiß noch, wo ich abgestiegen bin, und mir ist gerade wieder eingefallen, dass es der Fliegende Hirsch war, aber jetzt sag mir schnell noch, wo ich die Kalte Sonne finde!«
Unter Zuhilfenahme beider Hände erklärte der Junge ihm den schwierigen Weg durch die verwinkelten, engen Straßen und war erstaunt, dass Gideon auf eine Wiederholung verzichtete. »Ihr könnt ja noch mal fragen!«, rief er ihm hinterher.
Gideon ging zielstrebig der Beschreibung nach durch ein Gewirr von Gassen. Während die breiten Straßen mit Steinschutt bestreut waren, musste er hier auf seine Schritte achtgeben, denn Schneematsch verbarg gefrorene Rillen und Furchen. Menschen begegneten ihm kaum noch. Es gab auch nur noch vereinzelt kleine Handwerksstuben, aus denen Hämmern und Klopfen drangen, Stände gab es gar keine mehr. Er ging durch ein Wohngebiet der ärmeren Kairaner. Die Holzhäuser waren klein und zum größten Teil
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