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Das vierte Skalpell

Das vierte Skalpell

Titel: Das vierte Skalpell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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nächste Abend verlief heiterer.
    Ich polierte meine Klause, beseitigte
das Bett, das noch vom Morgen her einen zerknitterten Kissenhaufen bildete, und
entfachte ein kräftiges Feuer. Für Evelyns Bild hatte ich einen Stehrahmen
besorgt, und es prangte auf dem Schreibtisch, dort, wo es schon einmal
gestanden hatte. Ich war gespannt auf ihr Gesicht.
    Sie hatte nicht sagen können, wann sie
kommen würde. Ich legte die Beine hoch und vertrieb mir die Zeit mit Coca und
Rum. Zwischendurch dachte ich an den vergeblichen Besucher von gestern.
    Wer war das bloß gewesen?
    Konnte ruhig wiederkommen, wenn er nur
kein Skalpell bei sich trug.
    Es war so still und friedlich geworden,
daß ich bei der plötzlichen, stürmischen Klingelei zusammenfuhr.
    Vor der Tür stand Evelyn, außer Atem
und mit roten Backen. Unter jedem Arm trug sie ein Paket, ein rundes und ein
längliches. Sie drängte sich herein und schleuderte die Pakete auf meine Couch.
    »So, jetzt geht’s los!«
    Ich wollte fragen, was losgehen sollte.
Da" drehte sie sich um und gewahrte das Bild. Das Lächeln verschwand aus
ihrem Gesicht.
    »Wie kommt das Bild hierher?«
    »Ein armer, alter Kommissar hat es mir
geschenkt«, sagte ich. »Er trug es bei sich zur Erinnerung an ein Mädchen, mit
dem er sich gut unterhalten hat. Jetzt steht es wieder am alten Platz, wie das
Hofbräuhaus.«
    Sie kam näher zu mir. Ich sah ihre
glänzenden Augen und spürte den frischen Hauch der Winterkälte, den ihre Haut
ausstrahlte.
    »Bist du böse?« fragte sie. »Sieh mal,
ich kannte dich doch nicht so wie heute und...«
    »Schon in Ordnung«, sagte ich. »Darf
das Bild bleiben, wo es ist?«
    »Ja.«
    »‘ne Widmung könnte auch nicht
schaden.«
    »Wirklich?«
    Noch fünf Sekunden hielt ich es aus.
Dann zog ich sie hart an mich und küßte sie. Ihre Lippen öffneten sich, und sie
ging nicht zurück. Meine Pulszahl erhöhte sich erheblich.
    Dann ließ ich sie los, und wir gewannen
den alten Abstand.
    »Du hast mit ihm gesprochen?« fragte
sie.
    »Gestern.«
    »Er ist nett, nicht?«
    »Sehr. Komm, zieh dich aus und trink
was.«
    Ich zog ihr den Mantel von den
Schultern und ging, ihn aufzuhängen. Als ich reinkam, zog sie den Bindfaden von
dem runden Paket. Gleich darauf wurde mir eröffnet, was ich morgen tragen würde.
    Als erstes erschien ein eiserner Küraß
ä la Götz von Berlichingen. Er bestand aus zwei schalenartigen Teilen, die
durch Lederriemen zusammengehalten wurden, mit Schnallen an einer Seite.
    »Ich habe ihn mit Sidol geputzt«, sagte
Evelyn stolz. »Schau, wie er glänzt.«
    »Fabelhaft«, sagte ich ergriffen.
    Es klirrte, und sie zog zwei eiserne
Schienbeinschützer hervor. Dann folgte ein Trichter mit einem Staubwedel an der
Spitze. Er war mit Emaille überzogen und hatte einen Henkel und einen Bindfaden
als Sturmriemen.
    »Wie findest du ihn?«
    »Oh, sehr schön, sehr schön«, sagte
ich.
    Das Metall war jetzt zu Ende. Es folgte
eine kurze, himmelblaue Leinenhose, mit einem Gummizug oben und Brüsseler
Spitze unten, und ein Paar gestrickte Bettschuhe von der gleichen Farbe.
    »Sind sie nicht süß?«
    Ich konnte nichts mehr erwidern.
    Aus dem anderen Paket wickelte sie
einen Spieß, auf den statt des Stoßblattes eine Klosettbürste montiert war.
    Ich trank einen gewaltigen Schluck, um
mich zu erholen.
    »Du glaubst doch nicht im Ernst...«
    »Doch, das glaube ich! Denkst du denn,
du kannst dort mit einem Ringelhemd hingehen? Auf einem Ritterball mußt du auch
wie ein Ritter aussehen.«
    »Ich habe die Ritter anders in
Erinnerung«, murmelte ich. »Das hier sieht mehr nach Fußvolk aus. Und diese Zwangsjacke
wird mir alle Rippen...«
    »Das werden wir gleich sehen.« Sie hob
die Schildkrötenschale, als wäre sie aus Papier. »Los, zieh die Jacke aus!«
    Ich sah, daß ich nicht gegen sie
ankommen würde, und gehorchte.
    »Hier die Arme rein!«
    Sie klappte mir das Ding um den
Brustkorb.
    »Au!«
    »Was denn?«
    »Du hast mir die Haut eingeklemmt.«
    »Ach, stell dich doch nicht so an! Arme
hoch!«
    Sie zog die Schnallen zu. »Na, wie ist
es?«
    Ich tastete mit den Händen auf meiner
eisernen Brust herum,
    »Ich komme mir vor wie in der eisernen
Lunge. Außerdem drückt es unter den Achseln.«
    »Daran gewöhnst du dich.« Sie ging um
mich herum und betrachtete mich von allen Seiten.
    »Paßt wunderbar. Das wollte ich nur
wissen. Die anderen Sachen sind in Ordnung. Du mußt nur ein Paar dicke Kniestrümpfe
anziehen, wegen der Beinschienen. Und die Bettschuhe haben

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