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Das vierte Skalpell

Das vierte Skalpell

Titel: Das vierte Skalpell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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zusammenstellen, die wir in den letzten Jahren operiert haben.«
    »Ach so.« Da war nichts weiter zu
holen. Aber auf dem Weg zur Tür stellte ich noch eine Frage.
    »Ist bei Ihnen auch so wenig los im
Augenblick?«
    Sein trauriger Blick verriet keinerlei
Ungeduld.
    »Ich kann nicht klagen.«
    »So? Bei uns herrscht tiefer Frieden.
Die Leute sind offenbar schockiert.« Ich wartete einen Moment. »Haben Sie eine
Erklärung für das Ganze?«
    Diesmal hob er die Augen nicht vom
Papier.
    »Nicht die geringste.«
    Ich ging hinaus.
    Mein nächster Weg war zur Mehring.
    Ich fuhr im Paternoster hoch und
überlegte mir dabei, ob ich etwa gerade in Steimles Todeskabine stünde. Als ich
ausstieg, sah ich den breiten Rücken eines Polizisten im Gang. Ich ging an ihm
vorbei, und seine wachsamen Augen folgten mir.
    Die Mehring erwiderte meinen Gruß mit
wehleidigem Lächeln. Ich schüttelte ihr die Hand.
    »Na, Sie Waisenkind — alles in
Ordnung?«
    »Was heißt in Ordnung! Immer muß ich
neben dem unheimlichen Zimmer sitzen. Ich traue mich kaum mehr hinein. Und die
Kriminaler auf dem Flur machen mich auch nervös.«
    »Die sollen Sie beschützen«, sagte ich.
    »Wenn sie den Mörder nicht bald finden,
kündige ich«, fuhr sie fort. »Man ist ja seines Lebens nicht sicher. Wer weiß,
was noch alles passiert.«
    »Keine Angst«, sagte ich. »Jetzt wird
er sich hüten. Und die Polizei hat den längeren Arm. Die kriegen ihn.«
    »Ach die«, sagte sie geringschätzig.
»Wenn die einem ein paar Mark abnehmen können, da sind sie groß. Aber bei so
was...«
    »Diesmal wird es teuer für den
Betreffenden«, sagte ich. »Wie ist es — kann ich ein paar Krankengeschichten
durchsehen?«
    »Von wann?«
    »Ich habe die Nummern hier.«
    Ich zog meinen Block aus der Tasche und
schob ihn über den Schreibtisch.
    »Das ist schön. Da geht’s schnell.
Warten Sie einen Augenblick — ich muß nach nebenan.«
    Sie stand auf, nahm einen Schlüssel aus
der Schreibtischlade und ging hinaus. Ich steckte die Hände in die Hosentaschen
und schob die Füße von mir.
    Mein erster Blick fiel auf die
Mattglasscheibe neben der Tür. Genauso hatte ich damals gesessen. Dort war das
Signal aufgeflammt, das Stickhahn mir sterbend gegeben hatte. Hinter dieser Tür
war ich Zeuge seines letzten Atemzuges geworden. Verfluchter Platz!
    Die Mehring ließ auf sich warten. Es
war gleich drei. Lund sah nicht gern, wenn man die Mittagspause selbständig
verlängerte. Endlich hörte ich ihre Schritte.
    Sie schwenkte zwei Blätter in der Hand.
    »Weber ist nicht da«, sagte sie.
»Augenblick mal.«
    Sie gab mir die Papiere, setzte sich
und suchte in einem großen Notizbuch herum. Ihre Finger fuhren an den Rändern
der Seiten herunter, und ihre Lippen bewegten sich.
    »Auch nicht ausgeliehen«, sagte sie
ratlos. »Und drüben ist sie nicht. Ich habe alles durchgewühlt.«
    Weber war das tote Kind. Und
ausgerechnet das fehlte. Sah so aus, als ob sich außer mir noch jemand dafür
interessierte. Ich fragte: »Wer war denn in letzter Zeit hier? Ich meine, den
man mal fragen könnte, ob er es vielleicht mitgenommen hat?«
    Sie guckte wieder in ihr Buch.
    »Vorgestern — da war Doktor Lahringer
hier. Das ist der letzte. Er hat ein paar Blätter mitgenommen. Aber nicht
Weber.«
    Wieder Lahringer. Und vorgestern. Das
war Steimles Mordtag.
    »Und davor«, ihre Stimme wurde scheu,
»Oberarzt Steimle,«
    »Den kann ich nicht mehr fragen. Noch
jemand?«
    »Dr. Willers von der Inneren. Dann
kommen schon die vom letzten Jahr.«
    »Hm. Mich brauchen Sie nicht
einzuschreiben. Ich sehe es gleich hier durch.«
    Ich las nur die Zusammenfassungen auf
der ersten Seite.
    Johanna Serpl war am 18.12.1958
gebessert entlassen worden. Nichts von Tod und Sektion.
    Karl Hanacker hatte am 8. November das
gastliche Haus verlassen. Geheilt. Sein Darm war wie neu, nur etwas kürzer.
    Ja. Und das tote Kind fehlte.
    Ich gab der Mehring die Blätter zurück
und murmelte etwas von »Lahringer mal fragen«, bedankte mich und ging. Ich
mußte erst Ordnung in das Gewirr bringen.
    Wo war der richtige Trichter? Das tote
Kind oder Bonnet aus Freiburg?
    Das beste würde sein, mit Nogees zu
sprechen.
    Unten war genausowenig los wie am
Vormittag. Wir konnten früh mit Diktieren anfangen und wurden früh fertig.
Evelyn hatte es eilig. Schon um halb fünf zog sie sich an.
    »Das Personal hat sich an die
vorgeschriebenen Dienstzeiten zu halten«, sagte ich tadelnd. »Besonders in
Krisenzeiten. Wo kommen wir hin, wenn

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