Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)
staubig ist er, und als ich ihn abnehme, überrascht es mich fast, überhaupt ein Freizeichen zu hören. Vielleicht ist das hier das allerletzte Münztelefon in ganz Israel. Vor ein paar Jahren hat die Regierung sie alle abgebaut, eins nach dem anderen, und sie alle in einem großen Truck mitgenommen.
Ich muss meine Mutter hören, damit ich weiß, dass sie nicht auch weggegangen ist.
Aber sie ist es nicht, die ich anrufe.
Avishag geht erst beim dritten Versuch ans Telefon. Meine Mutter ist nicht die Erste, die ich anrufe, und das liegt nicht daran, dass ich entschieden hätte, Avishag müsste die Erste sein, sondern daran, dass ein Fast Sicher besser ist als das Risiko, dass man etwas erfährt, was man eigentlich nicht wissen will.
»Deine Mutter kommt wieder zurück«, sage ich.
Als ich das sage, weiß ich, dass sie’s vielleicht nicht tut. Als ich das sage, weiß ich schon, dass es Avishag war, die an dem einen Morgen in mein Notizbuch geschrieben hat, nicht Dan.
»Ich bin immer ganz allein, Yael«, entgegnet Avishag und klingt dünnhäutig. »Sogar jetzt.«
Ruf uns nicht an
Ich warte sehr lange, bis Avishag kommt und mich abholt. Ich sitze im Sand beim Münztelefon und warte. Ich schmecke eine Mischung aus Schweiß und Salz und Make-up, die mir von der Nase auf die Lippen läuft. Avishag hat gesagt, sie kommt.
Und das tut sie. Sie kommt, aber sie kommt mich nicht holen. Wir gehen nicht nach Hause. Wir reden nicht. Sie kommt einfach auf mich zu und biegt dann ab. Heute folge ich ihr überallhin, das weiß sie.
Wir laufen den Hügel immer weiter rauf. Ich hoffe, wir kommen nie oben an, aber ich weiß, irgendwann werden wir ankommen.
Auf dem Boden beim Handymast ist kein Blut. Auch kein Kleidungsstück. Nicht mal ein Stiefel.
Avishag braucht lange, um fassen zu können, dass da einfach nichts ist.
Sie will wenigstens etwas sehen können, irgendwas sehen. Verzweifelt dreht sie den Kopf erst nach rechts, dann nach links. Sie steht im Schatten des Handymasts und hat diesen suchenden Blick, genau wie früher, als wir klein waren und sie versucht hat, das letzte Wort in einem Worträtsel zu finden.
Plötzlich ist es, als wäre der Turm dieses Wort. Als würde sie ihn jetzt erst sehen, obwohl sie ihn schon minutenlang anstarrt. Sie legt beide Hände an den Turm und schiebt und tritt dagegen.
Ich helfe ihr und scharre mit den Schuhen den Sand um die Stahlfüße weg und stemme mich mit ganzer Kraft gegen den Turm.
Bis zum Einbruch der Dunkelheit versuchen wir, den Turm zum Einstürzen zu bringen. Immer und immer wieder.
Wir sagen kein Wort. Wir werden kein Wort sagen. Wir haben genug gesagt.
Wir brauchen hier keinen Handymast.
Panzerfaust-Kinder
Panzerfaust-Kinder waren meist neun oder zehn Jahre alt, sie waren also sehr klein, und sie waren Kinder. Und das Panzerfaustrohr ist eine Waffe, die sehr, sehr schwer ist, ein Kind allein kann sie nicht halten, man braucht also zwei, und die Kinder nahmen die Waffen und hielten sie, zwei an einer Waffe, eines vorn und eines hinten. Wenn man mit einer Panzerfaust schießt, ist das Geschoss vorne derart heftig, dass es sogar durch einen israelischen Panzer durchgeht, aber hinten tritt ein Feuerstrahl aus, kein großer, kein Feuer, das man bräuchte, aber die Waffe funktioniert eben so, dass da hinten Feuer rauskommt. Das eine Kind trug also das Panzerfaustrohr auf der Schulter und hinter ihm stand ein anderes Panzerfaustkind, auf Zehenspitzen, und hielt das Ende fest. Und wenn die Panzerfaustgranate abgeschossen wurde, fingen erst Haare und Kopf von dem Kind hinten Feuer, dann die Schultern, und bald auch die Sandalen, wenn es denn welche hatte. Sie wussten es nicht besser.
Keiner hat mit ihnen geredet, keiner hat ihnen irgendwas gesagt, weder den Kindern, die vorn festhielten, noch den Kindern, die hinten festhielten, aber sehr, sehr interessant ist, dass das vordere Kind sehr oft das brennende Kind hinten ansprang und es umarmte, und dadurch stiegen die Opferzahlen massiv, das eine Kind ist nicht allein verbrannt.
Der Klang
schreiender Mädchen
Wir, die Rekrutinnen aus dem Lager, stehen in einem tadellosen Viereck, dem eine Seite fehlt. Vor uns steht unsere Ausbilderin, die pralle Mittagssonne im Gesicht. Sie blinzelt. Sie brüllt.
»Hand hoch, wer Kontaktlinsen trägt.«
Zwei Mädchen heben die Hand. Unsere Kommandantin wirft einen Blick auf die Armbanduhr. Die beiden Mädchen machen es ihr nach.
»In zwei Minuten und dreißig Sekunden seid ihr von den
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