Das Wahre Kreuz
hatte, welche Geheimnisse es bewachen mochte. Damals hatte ich an die Geheimnisse vergangener Zeit gedacht und mir nicht Dinge vorgestellt, die bis ins Heute hi-neinreichten.
Der Kampf um das Wahre Kreuz hatte vielen Menschen das Leben gekostet, in den vergangenen Jahrhunderten, aber auch in der kurzen Zeit, seit ich mit dem Geheimnis der Reliquie in Berührung gekommen war.
Wie gern hätte ich die Toten wieder zum Leben erweckt! Aber das konnte ich nicht, ich konnte nur das beenden, was Roland de Giraud sechshundert Jahre zuvor begonnen hatte.
Mit Tüchern wischten wir den Pferden den Schweiß ab, damit man ihnen nicht ansah, was für ein Gewaltritt hinter uns lag. Dann stiegen wir wieder in die Sättel und ritten eher gemächlich und scheinbar ohne Hast auf das französische Militärlager zu.
Den Befehl über die Grenadierkompanie hatte ein Hauptmann Laforce inne. Der kam uns mit einigen seiner Soldaten entgegen. In seinem Gefolge entdeckte ich auch Sergeant Kalfan, der uns freudig zuwinkte.
Laforce, dessen längliches Gesicht von einer Säbel-narbe auf der linken Wange gezeichnet war, begrüßte uns, nachdem wir abgestiegen waren, höflich und sagte zu meinem Onkel: »Schön, daß Sie wieder bei uns sind, Professor. Wollen Sie Ihre Arbeit im Tempel fortsetzen, sobald General Bonaparte eingetroffen ist?«
Also hatte Bonaparte sein Kommen bereits angekündigt; er mußte einen Kurier gesandt haben. Mein Onkel ließ sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen.
»So ist es, Hauptmann«, sagte er. »Allerdings ist Bonaparte aufgehalten worden und wird erst später hier eintreffen. Er hat uns vorausgeschickt mit dem Auftrag, etwas aus dem Tempel zu holen.«
»Das ist seltsam«, brummte Laforce stirnrunzelnd.
»Ich habe von ihm den ausdrücklichen Befehl erhalten, niemanden in den Tempel zu lassen, bis er selbst hier ist.«
Onkel Jean lächelte. »Das gilt selbstverständlich nicht für uns. Schließlich leite ich die Arbeiten hier!«
Laforce schüttelte leicht den Kopf. »Bedauere, aber der Befehl des Generals ist eindeutig. Niemand darf in den Tempel. So ist der Wortlaut.«
Mein Onkel zog die Ermächtigung hervor, die Bonaparte ihm ausgestellt hatte, und reichte sie dem Hauptmann.
»Lesen Sie das, bitte! Der Wortlaut ist wohl auch eindeutig, oder? Dem Inhaber dieses Schreibens, dem Bürger Jean Cordelier, Mitglied des Instituts von Ägypten, ist es gestattet, sich jederzeit frei und ungehindert zu bewegen.«
»Ja, schon«, bestätigte Laforce, nachdem er das Papier studiert hatte. »Aber der Befehl, niemanden in den Tempel zu lassen, ist jüngeren Datums.«
Onkel Jean ließ sich das Dokument zurückgeben und sagte: »Dieses Schreiben, von Bonaparte unterzeichnet, ist damit aber nicht aufgehoben. Er selbst hat mich schließlich vor kurzem erst hergesandt. Hören Sie, Hauptmann, es geht um eine sehr wichtige Angelegenheit, die wir im Tempel für den General erledigen sollen. Wenn Sie uns daran hindern, wird ihm das gar nicht gefallen!«
Schweißtropfen traten auf Laforce’ hohe Stirn, und er nestelte an seinem Uniformkragen herum, als sei der ihm plötzlich zu eng geworden.
»Sie bringen mich da in eine verflucht schwierige Lage, Bürger Cordelier! Zwei einander widersprechen-de Befehle, das hat schon manchen Offizier die Laufbahn gekostet!«
Sergeant Kalfan strich über seinen martialischen Schnurrbart und sagte mit dröhnender Stimme: »Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, daß der Professor nicht in den Tempel darf. Schließlich ist er Mitglied des Instituts von Ägypten, genauso wie General Bonaparte.«
»Schön, also gut«, rang der Hauptmann sich endlich durch. »Dann gehen Sie meinethalben hinein, Bürger Cordelier, aber nur Sie allein!«
»Das geht nicht«, entgegnete mein Onkel. »Mein Neffe muß mir zur Hand gehen, und die Wüstenrose hier muß uns bei den Büchern in der Bibliothek helfen.
Sie kennt nämlich die Schrift, in der sie verfaßt sind.«
Wieder runzelte Laforce die Stirn. »Ich dachte, sie kann nicht sprechen!«
»Sie ist sehr gerissen und hat uns etwas vorgemacht, aber inzwischen ist sie bereit, mit uns zusammenzuarbei-ten. Wir haben ein bisschen nachgeholfen, Sie verstehen?«
Laforce musterte Ouridas geschwollene Wange.
»Na, dann gehen Sie eben alle drei. Oder brauchen Sie auch noch Unterstützung von meinen Männern?«
»Nicht nötig, Hauptmann, wir kommen zurecht.
Und vielen Dank, das war die richtige Entscheidung.
Ich bin sicher, General Bonaparte wird
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