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Das Wahre Kreuz

Das Wahre Kreuz

Titel: Das Wahre Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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Magen, fördert den Schlaf und mildert die Anspannungen.« Der Sergeant grinste über das ganze runde Bauerngesicht, und die Spitzen seines mächtigen Schnurrbarts zitterten vor freudiger Erregung. »Diesem Bürger Montaigne würde ich gern die Hand schütteln. Er ist gewiß ein sehr kluger Mann!«
    Von der Aussicht auf eine Sonderration Schnaps be-flügelt, schwangen Kalfan und seine sieben Kameraden ihre Schaufeln und Hacken mit wahrer Inbrunst, und keine Stunde später hatten sie verwitterte Stufen freige-legt, die in eine finstere Tiefe führten. Onkel Jean ließ einige der mitgebrachten Fackeln entzünden, und vorsichtig, uns Schritt für Schritt vortastend, stiegen wir hinunter. Oben blieben nur Abul und zwei Soldaten zurück.
    Abgestandene Luft schlug uns entgegen, ganz so, als sei der Eingang schon seit Jahrhunderten verschüttet, als sei schon lange nicht ein winziges Lüftchen mehr in das alte Bauwerk gelangt. Unter unseren schweren Stiefeln knirschte der Sand, während wir tiefer und tiefer hinabstiegen. Die Wände links und rechts der Treppe waren glatt und schmucklos, so daß mein Block hier leer geblieben wäre, selbst wenn ich die nötige Muße zum Zeichnen gehabt hätte.
    Unten mündete die Treppe in einen langen, gewundenen Gang, dessen Decke durch etliche Säulen gestützt wurde. Diese waren, im Gegensatz zu den Wänden, mit zahlreichen jener geheimnisvollen Zeichen verziert, wie die alten Ägypter sie überall dort hinterlassen haben, wo man auf Überreste ihrer untergegangenen Kultur stößt.
    Onkel Jean hatte mein Zögern bemerkt und legte mir eine Hand auf die Schulter. »Geduld, Bastien. Du wirst ausreichend Gelegenheit haben, dies alles zu ver-ewigen. Zweifellos sind wir auf eine bedeutende Kult-stätte gestoßen, die wir in aller gebotenen Ausführlichkeit erforschen werden. Aber fürs erste wollen wir einfach weitergehen und sehen, welche Wunder diese unterirdische Welt vor uns verbirgt.« Also gingen wir, eskortiert von den Soldaten, weiter, beherrscht von einem seltsamen Zwiespalt der Gefühle. Forscherdrang und Wißbegier spornten uns zur Eile an, wohingegen das Staunen angesichts der alten Baukunst, der wir auf Schritt und Tritt begegneten, uns immer wieder zum Anhalten und zum näheren Betrachten verführen wollte. Mehrmals gerieten wir an Abzweigungen, die wir einstweilen ignorierten, wuchs doch mit jedem weiteren Schritt die Neugier auf das, was uns am Ende des Weges erwartete. Wir hatten gerade die dritte oder vierte Abzweigung hinter uns gelassen, als wir seltsame Laute durch das Gewölbe hallen hörten: Stimmen, Schritte und dann einen langgezogenen Schrei – es klang wie der Schrei einer Frau in Todesangst.
    Wir erstarrten, und wahrscheinlich spukten durch jeden Kopf ähnliche Gedanken. Waren die Warnungen vor diesem Ort mehr gewesen als der Ausdruck nebulö-
    sen Aberglaubens? Lebten hier unten diejenigen fort, die das alles vor Jahrhunderten erbaut hatten und deren Körper längst zu Staub hätten zerfallen sein müssen?
    Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken, und ich klammerte mich an meinem Zeichenblock fest, als könne er mich vor Geistern und Dämonen beschützen.

    Sergeant Kalfan fand als erster seine Sprache wieder und deutete zu der Abzweigung. »Das kam aus diesem Gang.« Täuschte ich mich, oder schwang in der rauhen Stimme des kampferprobten Mannes ein leises Zittern mit?
    Wieder hörten wir etwas. Kurze Rufe, die männli-chen Kehlen entstammten, dann den spitzen Schrei einer Frau. Verstehen konnten wir nichts. War das überhaupt unsere Sprache? Gehörten die Stimmen in unsere Zeit, oder überdauerten in diesem unterirdischen Tempel Laute, die eigentlich längst hätten verklungen sein müssen?
    »Sehen wir nach!« sagte Onkel Jean in einem Ton, der zwar Verwirrung verriet, aber kein Zaudern.
    Kalfan nickte. »Sie und Ihr Neffe sollten die Fackeln tragen, Professor, damit meine Männer im Notfall ungehindert ihre Waffen einsetzen können.«
    So geschah es. Mein Onkel nahm eine Fackel an sich und ich deren gleich zwei, nachdem ich meinen Zeichenblock, der mir in der gegenwärtigen Lage wenig nützen konnte, auf dem Boden abgelegt hatte. Wir drangen in die Abzweigung ein, und es war beruhigend, Kalfan und seine Grenadiere, die Bajonette aufgepflanzt, bei uns zu wissen.
    Die fremden Stimmen, die hin und wieder zu uns he-rübertönten, wurden lauter, aber noch immer verstanden wir nicht, was vor sich ging. Schließlich ging der Gang, der weniger breit war als der

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