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Das Wahre Kreuz

Das Wahre Kreuz

Titel: Das Wahre Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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vorherige, in eine Biegung über, und dahinter eröffnete sich ein großer Raum, der von mehreren in eisernen Wandhaltern stek-kenden Fackeln erhellt wurde. Was wir dort sahen, mutete an wie eine Szene aus einem Schauspiel, dessen Verfasser seiner überbordenden, durchaus morbiden Phantasie freien Lauf gelassen hatte.
    In der Mitte des Raums, zu dem es noch einen zweiten Zugang gab, erhob sich ein massiger steinerner Block, der mich an den Altar der Klosterkirche von St.
    Jacques erinnerte und damit an jene Zeit, bevor die Revolution Klöster und Kirchen in Frankreich hinweg-gefegt hatte. Darauf lag rücklings eine junge Frau, mit Stricken gefesselt, das helle Gewand zerfetzt und mit leuchtenden Flecken frischen Blutes besudelt. Sie mußte diejenige sein, deren angsterfüllte Schreie wir vernommen hatten.
    Als wir den Raum betraten, hob sie den Kopf und blickte uns erstaunt und zugleich wie mit neu erwachter Hoffnung entgegen.
    Obwohl ihr das lange Haar, das im flackernden Licht der Fackeln kupfern leuchtete, wirr und zerzaust ins Gesicht hing, sah ich von ihrem Antlitz doch genug, um augenblicklich ihrer Schönheit zu verfallen. Die Angst, die ihre Züge zeichnete, konnte daran nichts, aber auch gar nichts ändern. Es waren ebenmäßige Zü-
    ge mit hohen Wangenknochen und einer leicht gebogenen, vielleicht eine Spur zu großen Nase, die dem Gesicht einen starken Ausdruck verlieh. Der Blick aus den großen, orientalisch geschnittenen Augen blieb einen langen Moment auf mir haften, und ich meinte darin den flehentlichen Wunsch zu lesen, ich möge ihr gegen ihre Peiniger beistehen. Und dazu war ich seit der Sekunde, in der ich ihrer ansichtig geworden war, fest entschlossen.
    Ihre Peiniger, das waren zehn oder zwölf Männer in seltsamen Gewändern. Sie trugen fast knöchellange, ärmellose, weitgeschnittene Mäntel, deren rechten Hälfte schwarz war und die linke weiß. Auf der schwarzen Seite prangte im Brustbereich ein weißes, auf der weißen ein rotes Kreuz. Sie erinnerten mich an mittelalterliche Ritter, deren Abbildungen ich früher in der Klosterbibliothek so oft betrachtet hatte. Dieser Eindruck wurde verstärkt durch die Kettenhemden, die Arme, Kopf und Nacken bedeckten. Die Füße steckten in schweren Stiefeln.
    Seit unserer Ankunft in Ägypten hatte ich unzählige exotische Gewandungen gesehen, nicht zuletzt an den Kriegern dieses Landes. Aber Männer wie diese erblickte ich zum ersten Mal; das waren keine Mamelucken-reiter und keine Beduinenkrieger. An das Mittelalter ließ auch ihre Bewaffnung denken. Ich sah Schwerter, Schilde und Streitäxte, konnte aber keine einzige Feuerwaffe entdecken. Die unten spitz zulaufenden Schilde ähnelten in ihrer farblichen Zweiteilung den Mänteln und waren ebenfalls mit dem weißen und dem roten Kreuz verziert.
    Während ich das alles in Sekundenbruchteilen wahr-nahm, riß einer der Männer sein breites Schwert aus der lederbespannten Scheide und rief: »Auf sie, Brüder!
    Macht sie nieder!« Diesmal verstand ich. Der Mann sprach französisch. Und die Männer, die er Brüder genannt hatte, ebenso. Sie erhoben ihre Waffen und stürmten auf uns zu. Ich stand noch immer wie gebannt da, als sei ich in einem grotesken Traum gefangen.
    »Feuer!« hörte ich Sergeant Kalfan neben mir rufen, und schon erfüllten Pulverrauch, der meine Augen trä-
    nen ließ, und das Gebell der Musketen den Raum.
    Drei oder vier der Angreifer gingen zu Boden, aber zum Nachladen blieb keine Zeit. Der Feind hatte uns erreicht. Schwerter, Streitäxte und Schilde trafen auf Gewehrkolben, Bajonette und Infanteriesäbel.
    Kalfan mußte es mit zwei Gegnern zugleich aufnehmen. Dem ersten, der die Streitaxt bereits zum Schlag erhoben hatte, zerschmetterte der wackere Sergeant mit dem Gewehrkolben den Kiefer. Trotz des allgemeinen Kampfgetümmels vernahm ich das Splittern des Knochens deutlich. Ein zweiter Angreifer ließ sein Schwert auf Kalfan niederfahren. Im letzten Augenblick duckte sich der Sergeant, so daß ihm nur der Zweispitz mit dem roten Federbusch vom Kopf gerissen wurde. Er drehte seine Muskete um und rammte seinem Gegenü-
    ber die Bajonettspitze in den Leib. Einen anderen Gegner hätte dieser Stoß das Leben gekostet, aber das Kettenhemd milderte die Wucht, und der Mann im schwarz-weißen Waffenrock wich lediglich taumelnd zurück. Kalfan, das Gewehr mit dem aufgepflanzten Bajonett zum erneuten Stoß erhoben, setzte ihm nach.
    Wie der Kampf weiterging, konnte ich nicht verfolgen. Ein

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