Das Wahre Kreuz
zwischen den Dü-
nen bei den Packeseln verkrochen«, erhielt ich zur Antwort. »Scheint heilfroh zu sein, daß er sich nicht in der Nähe des Tempels aufhalten muß.«
Als ich auf die Dünen zuschritt, hörte ich das durchdringende Geschrei der Esel, das uns auf unserem Weg von Kairo bis hierher begleitet und manchmal an den Rand der Verzweiflung getrieben hatte. Alarmiert be-schleunigte ich meine Schritte – und kam gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie unser Führer in wilder Hast auf einem Esel davonritt. Der Araber schlug mit einem krummen Stock auf den Esel ein, um ihn zur Eile anzutreiben, was das Tier mit dem weithin hallenden, wehklagenden Geschrei quittierte. Durch den Lärm angelockt, waren mein Onkel und der Sergeant mir gefolgt. Als sie neben mir standen, war Abul schon zu einer winzigen Gestalt geschrumpft, die jeden Moment in der von den Hufen des Esels aufgewirbelten Staubwolke verschwinden würde.
»Soviel also zu meiner Idee, daß Abul uns helfen könnte«, sagte ich. »Wenn er so weitermacht, bleibt der Esel erst in Kairo wieder stehen.«
»Genau da wird er hinwollen«, brummte Onkel Jean.
Kalfan stieß einen derben Soldatenfluch aus. »Sollte mich nicht wundern, wenn der Alte mit den Kerlen im Tempel unter einer Decke steckt. Jetzt, wo wir den Kampf gewonnen haben, macht er sich lieber aus dem Staub.«
Mein Onkel schüttelte leicht den Kopf. »Ich glaube, es ist die nackte Angst, die ihn von hier wegtreibt. Er hatte schon vorher gehörigen Respekt vor dem Tempel.
Als er uns, verwundet und in Begleitung dieser fremden Frau, zurückkommen sah, hat die Angst ihn schlicht übermannt.«
Kalfan strich über seinen Schnurrbart und blickte skeptisch drein. »Wenn er solche Angst vor diesem Ort hat, warum hat er uns dann hergeführt?«
»Deshalb«, sagte Onkel Jean und vollführte mit Daumen und Zeigefinger die Bewegung des Geldzählens. »Aus dem Grund, aus dem die meisten Dinge auf dieser Welt geschehen.«
»Hätte er genauer gewußt, was für Gestalten in dem Tempel ihr Unwesen treiben, wäre er wohl schon vorher geflohen«, pflichtete ich meinem Onkel bei.
»Bald sind wir wieder in Kairo, und dann werden wir ihn selbst nach dem Grund fragen«, meinte Onkel Jean.
Ich blickte ihn erstaunt an. »Sie wollen die Expedition abbrechen, Onkel?«
»Was bleibt mir übrig? Die meisten von uns sind verwundet, ein Mann sogar schwer. Es ist kein Arzt unter uns. Außerdem müssen wir damit rechnen, daß unsere seltsamen Freunde aus dem Tempel uns neuerlich auf den Leib rücken. Immerhin haben wir etwas mit uns genommen, an dem sie ein großes Interesse haben.«
Er sah zu der Stelle hinüber, wo die Frau scheinbar teilnahmslos auf dem Boden hockte, den Blick auf den Tempeleingang gerichtet.
Kalfan kratzte sich am Kopf, um den er nach dem Verlust seines Hutes ein schweißfleckiges Tuch als Son-nenschutz gebunden hatte. »Was waren das nur für Gestalten, Professor? Von einem Stamm mit solcher Kleidung habe ich noch nicht gehört.«
»Mir kamen sie vor wie mittelalterliche Ritter«, warf ich ein.
»Daran habe ich auch gedacht«, sagte mein Onkel.
»Vielleicht können wir das ebenfalls in Kairo klären.
Jetzt sollten wir uns aber um unseren Abmarsch kümmern. Ich halte es nicht für ratsam, die Nacht in der Nähe des Tempels zu verbringen.
Möglicherweise wagen unsere Gegner nicht nur einen zweiten Angriff, sondern kehren auch noch mit Verstärkung zurück.«
Der Sergeant schirmte seine Augen mit der flachen Hand ab und ließ seinen Blick über den alten Tempel-bau und den schroffen Berg dahinter schweifen. »Schon wahr, irgendwo da hinten könnten sich weitere Feinde verborgen halten.«
»Auf jeden Fall gibt es mehr als einen Eingang zu dem Tempel«, fuhr Onkel Jean fort. »Der, den wir frei-gelegt haben, ist schon lange nicht mehr benutzt worden. Die Frau dort und die Männer, von denen sie drangsaliert wurde, müssen auf andere Weise in den Tempel gelangt sein. Auf demselben Weg könnten die Fremden Verstärkung heranholen. Wir wissen nicht, ob und mit welcher Geschwindigkeit sie dazu in der Lage sind, aber zu unser aller Sicherheit sollten wir mit dem Schlimmsten rechnen und uns deshalb ein anderes Nachtlager suchen, bevor wir den Marsch zurück nach Kairo antreten.«
»Wir könnten auf dem kleinen Felsplateau nächtigen, das wir heute mittag passiert haben«, schlug der Sergeant vor.
»Sitzen wir da nicht wie auf dem Präsentierteller, wenn die Männer uns verfolgen?« zweifelte
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