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Das weiße Mädchen

Das weiße Mädchen

Titel: Das weiße Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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mich jederzeit anrufen«, erbot sich Jörg.
    »Ach, komm – sei froh, dass du mich mal ein paar Tage los bist!«, scherzte Lea. »Ich rufe bestimmt nicht an.«
    »Schade«, sagte er schlicht.
    Während Lea die Website schloss und zu ihren Mails zurückkehrte, spürte sie seinen Blick. Er musterte ihr Profil. Das tat er des Öfteren, aber sie hatte sich daran gewöhnt, es nicht zur Kenntnis zu nehmen, sondern umso angestrengter auf den Bildschirm zu starren.
    Er mag mich
, dachte sie. Innerlich verwünschte sie ihre Eigenart, sich stets nur zu Männern hingezogen zu fühlen, die eine gewisse Art von kühler Überlegenheit ausstrahlten. Jörg Hausmann besaß nichts dergleichen. Er war freundlich, rücksichtsvoll, zuvorkommend, vermutlichauch zärtlich und treu – eigentlich alles, was man sich legitimerweise wünschen durfte.
    Kein Wunder, dass ich sechsunddreißig und Single bin
, dachte Lea mit einem Anflug von Wehmut.
Wahrscheinlich ist es meine eigene Schuld.
     
    Der Samstag ging dahin, verlängert um einige Überstunden, in denen Lea alles für ihre Abwesenheit vorbereitete und Jörg in ihre unerledigten Arbeiten einwies. Er blieb ungefragt, ließ sich jede Einzelheit geduldig erklären und versprach, sich um alles zu kümmern. Als beide aufbrachen, waren sie die Letzten im Büro, während im Erdgeschoss bereits die Putzkolonne anrückte.
    »Na dann – schönen Urlaub!«, wünschte ihr Jörg, als sie sich vor dem Eingang des Gebäudes verabschiedeten.
    »Danke.«
    Lea strebte rasch auf den Parkplatz zu, warf sich in ihren Fiesta und schob den Schlüssel ins Zündschloss. Als sie aus der Auffahrt bog, war Jörg noch nicht weit gekommen, vielleicht zwanzig Schritte die Straße hinunter. Während sie vorüberfuhr, wandte er sich um und winkte – genau, wie sie es erwartet hatte.
    Für kurze Zeit spielte Lea mit dem Gedanken, den unerwarteten Urlaub mit einem üppigen Essen in ihrem Lieblingsrestaurant zu feiern. Dann jedoch wurde ihr bewusst, wie unerquicklich ein festliches Mahl in einziger Gesellschaft einer Tischkerze sein würde.
    Ich hätte Jörg fragen können, ob er mitkommt
, dachte sie, verwarf den Gedanken jedoch sogleich. Eigentlich wäre sie gern einmal mit ihm essen gegangen, fand jedoch, dass die Einladung von ihm ausgehen musste.
Wenn er doch nur ein wenig mutiger wäre und die Initiative ergreifen würde   …
    Lea seufzte und machte sich auf den Heimweg. Als siedas Mehrfamilienhaus am Stadtrand erreichte, den Wagen abstellte und ihre Wohnungstür aufschloss, fühlte sie sich seltsam unzufrieden.
    Jetzt könntest du einmal etwas tun, das du schon immer tun wolltest.
    Die Wohnung war leer und still, die Wohnzimmertür stand offen, das Frühstück noch auf dem Tisch. Der Raum wirkte seltsam ungemütlich ohne David, der sich gewöhnlich im Fernsehsessel lümmelte und schuldbewusst die Füße vom Tisch nahm, sobald seine Mutter hereinkam.
    Was jetzt? ,
fragte sich Lea.
    Sie räumte das Geschirr weg, merkte, dass sie keine Lust zum Kochen hatte, und schob eine Tiefkühlpizza in den Ofen. Aus reiner Langeweile machte sie den Fernseher an, holte sich das Essen auf den Couchtisch und aß vor dem Bildschirm. Erstaunt registrierte sie, dass sie David schon jetzt, nach einem einzigen Tag, vermisste. Eine Zeitlang rang sie mit sich, stellte jedoch schließlich den Fernseher leiser und griff nach ihrem Handy.
    »David Petersen, hallo.«
    Er betonte »hallo« auf dem »O«, wie stets. Seine Stimme klang munter. Leas Stimmung hob sich augenblicklich.
    »Ich bin’s«, sagte sie.
    »Mum! Na, wie geht’s?«
    »Wie geht es
dir?
Bist du gut angekommen?«
    Fast schämte sich Lea ein wenig bei dieser Frage – sie klang nach dem Klischee der besorgten Mutter, fast wie aus dem Drehbuch des Krimis, der über den Bildschirm flimmerte.
    »Alles bestens«, sagte David. »Im Zug ist die Klimaanlage ausgefallen. Wir haben geschwitzt wie die Idioten. Aber das Schullandheim ist toll: Wir sind zu zweit in einem Zimmer, das Essen ist okay und die Betreuer sindin Ordnung. Morgen werden sie uns wahrscheinlich zu einer endlosen Wanderung quer durch den Taunus scheuchen, aber zur Belohnung wird abends gegrillt.«
    »Klingt gut.«
    »Und was machst du so?«
    »Ach, es ist einsam hier ohne dich«, gab Lea zu. »Ich habe beschlossen, auch ein wenig zu verreisen. Mein Chef hat mir überraschend Urlaub gegeben. Natürlich bin ich wieder da, wenn du zurückkommst.«
    Sie erzählte in knappen Worten von der geplanten Tour nach Verchow,

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