Das Weltgeheimnis (German Edition)
hinter sich und sichert sich innerhalb weniger Monate für die Vermarktung des Fernrohrs und seine späteren Entdeckungen einen entscheidenden Vorsprung, ein glänzender Coup, der bezeugt, wie sehr sein Forscher- und sein Unternehmergeist in der Republik Venedig gewachsen und zusammengewachsen sind.
Die Brille der Wissenschaft
Venedig ist seit Jahrhunderten ein Zentrum der Glasindustrie. Schon im Jahr 1270 gab es hier eine Glasmacherzunft mit besonderen Statuten. Den Arbeitern war es etwa verboten, die Republik zu verlassen, um die Monopolstellung nicht zu gefährden. Wegen der Feuergefahr durch die Glasöfen wurde die Glasproduktion auf die Insel Murano verlegt, wo einer von Galileis engsten Freunden, Girolamo Magagnati, eine Glasmanufaktur betreibt. Magagnati schreibt ihm deftige Briefe in malerischem Dialekt, erinnert ihn an ihre gemeinsamen Bankette und Trinkgelage und dürfte seinem gern gesehenen, neugierigen Gast einiges zur venezianischen Glasmacherkunst erzählt haben.
Die ersten Brillengläser für Altersweitsichtige kamen an der Schwelle zum 14. Jahrhundert serienmäßig aus venezianischen Fabriken. Man schnitt die konvexen Linsen aus einer geblasenen Glaskugel heraus. Mit der Größe der Kugel veränderte sich die Krümmung der Linsen. Auf diese einfache Weise war es den Glasbläsern möglich, Brillengläser einer Stärke von etwa zwei bis vier Dioptrien herzustellen.
Um möglichst klares, transparentes Glas zu erzeugen, achten Magagnati und alle venezianischen Glasfabrikanten auf die Reinheit der Rohstoffe. Wie ihre Vorgänger besorgen sie sich feinen, siliziumreichen Sand aus den Flüssen im Tessin, importieren die Asche getrockneter Pflanzen von den salzreichen Küstenregionen Syriens und greifen auf ein chemisches Reinigungsverfahren zurück, das Angelo Barovier im 15. Jahrhundert in Murano entwickelte, um die oft gelb-grünliche Trübung des Glases nahezu völlig zu eliminieren.
Kristallklares Murano-Glas zählt zu den Luxusgütern der frühen Neuzeit. Venezianische Kelchgläser mit Diamantgravuren und solche, die mit feinen, weißen, eingeschmolzenen Glasfäden gemustert sind, finden ebenso reißenden Absatz wie die mit Quecksilber belegten Spiegel. Die Glasindustrie ist einer jener boomenden Wirtschaftszweige, durch die Venedig einen Teil der finanziellen Einbußen kompensieren kann, unter denen die Metropole zunehmend leidet.
Seit der Umschiffung Afrikas und der Überquerung des Atlantiks ist die Welt größer geworden. Spanische, britische und niederländische Schiffe befahren nun die Ozeane, der Kolonialhandel blüht, die Sklaverei wird zum lukrativen Geschäft, die Weltmarktpreise für Gewürze oder Edelmetalle gehen zeitweise unkontrollierbar auf und ab. In dieser schwierigen Zeit der Globalisierung versucht Venedig, seine Wirtschaft durch den Export hochwertiger Produkte zu stärken, darunter Kristall-, Achat- oder Milchglas.
Um ein gutes Fernrohr anzufertigen, benötigt Galilei aber nicht nur erstklassiges Glas. Er braucht Glaslinsen, deren Krümmungen präzise aufeinander abgestimmt sind, um sie als Okular und Objektiv einsetzen zu können.
Die alte Technik venezianischer Glasbläser ist inzwischen längst überholt, die Nachfrage nach Brillengläsern seit der Erfindung des Buchdrucks enorm gestiegen. Um den Gläsern eine vorbestimmte Form zu geben, schleifen und polieren eigens dafür ausgebildete Brillenmacher flache Glasrohlinge nun in einer vorgefertigten Metallschale mit einer feinen Schmirgelmasse.
Diese Kunst beherrschen Handwerker nicht nur in Venedig, sondern auch in der Toskana, in Nürnberg, Regensburg und anderswo in Europa.
Das erste aus zwei Linsen bestehende Fernrohr kommt aus Middelburg, wo die Glashütte seit 1605 von einem Venezianer betrieben wird. Middelburg ist zu dieser Zeit die nach Amsterdam zweitgrößte Stadt in den Niederlanden. An der Grenze zu Flandern gelegen, hat sich ihre Bevölkerung durch die Flüchtlingsströme aus dem Süden binnen weniger Jahrzehnte verdreifacht. Im langwierigen Unabhängigkeitskrieg gegen die Spanier haben die Niederländer im Süden zunächst eine Stadt nach der anderen verloren, darunter das überaus reiche Antwerpen. Unter den Flüchtlingen befand sich auch der Besitzer der dortigen Glasmanufaktur. Wie viele andere wohlhabende Bürger zog er von Antwerpen fort und gründete in Middelburg ein neues Unternehmen.
Im Herbst 1608 macht ein deutscher Brillenmacher in Middelburg das Geschäft seines Lebens. Der in Wesel geborene
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