Das Wesen. Psychothriller
Psychiater kannte, sah ich ihn um Worte ringen. Zumindest das bereitete mir eine gewisse Genugtuung. »Was wollen Sie in meiner Garage?«
»Wir möchten uns dort umsehen. Die Kollegen der Spurensicherung werden auch bald eintreffen. Ist Ihr Wagen da?«
»Nein, ich … ich weiß es nicht, kann sein, dass Nicole damit weggefahren ist.«
»Führen Sie uns trotzdem in die Garage, Dr. Lichner.«
Die Schultern des Mannes sackten ein Stück herab. Ohne weiteren Kommentar nickte er und verließ den Raum, dicht gefolgt von den beiden Kollegen in Uniform.
Die Garage war durch eine Tür am Ende des Praxisbereiches zugänglich. Auf dem grauen Feinsteinzeug, mit dem der Boden gefliest war, gab es wie angekündigt keine Spur von Schlamm oder Grasbüscheln. Auch an Dr. Lichners Fahrzeug, einem dunkelblauen 5er BMW , der entgegen seiner Annahme doch dort stand, konnten wir keine auffällige Verschmutzung über das natürliche Maß hinaus feststellen, was aber nach über zwei Wochen auch kein Wunder war. Als die Kollegen der Spurensicherung damit begannen, sich in der Garage mit ihren Koffern und Utensilien auszubreiten, sagte Menkhoff: »Was ist mit dem Wagen?« Einer der Männer drehte sich zu uns um. »Wird gleich abgeholt.«
Menkhoff nickte, dann forderte er mich auf, ihm zu folgen. Den beiden Uniformierten, die mit einem verwirrt dreinschauenden Dr. Lichner hinter uns standen, befahl er, sich mit dem Psychiater im Eingangsbereich der Praxis auf die Stühle zu setzen und auf seinen Anwalt zu warten. Die Eingangstür war gleich nach unserer Ankunft von außen mit einem provisorischen Hinweisschild auf einen Notfall versehen und geschlossen worden.
Wir betraten durch eine schmale Tür einen ebenfalls grau gefliesten Nebenraum der Garage, der wohl als Hauswirtschaftsraum diente. Neben Waschmaschine und Trockner, die auf einem Steinsockel in einer Höhe standen, die es erlaubte, sie zu befüllen, ohne sich dabei bücken zu müssen, gab es ein großes, steinernes Spülbecken, auf dem ein Gitterrost lag, einen fast deckenhohen weißen Schrank sowie ein paar Regale mit allem möglichen Plunder darin. Menkhoff ging zielstrebig auf den Schrank zu und öffnete ihn. Im Inneren gab es nur ein Regalbrett auf Augenhöhe, auf dem Putzmittel aller Art standen. Darunter waren Besen und Schrubber an die Schrankwand gelehnt, auf dem Boden dazwischen standen ein weißer und ein grauer Putzeimer.
Menkhoff griff in das Regal und schob die Flaschen und Dosen mit Putzmittel zur Seite. In der hintersten Ecke lag eine zusammengeknüllte bunte Plastiktüte. Er nahm sie heraus, zog die oberen Ränder auseinander und sah hinein. Mit einem tiefen Atemzug sah er mich dann an und hielt mir die geöffnete Tüte entgegen. Der Ausdruck des grimmigen Triumphes auf seinem Gesicht war dabei nicht zu übersehen.
Auf dem Boden der Tüte lag ein türkisfarbenes Etwas mit einem kleinen, bunten Plastikteil daran, das ich erst nach ein paar Sekunden als Haargummi mit einem kleinen Plastikschmetterling darauf erkannte.
»Was denken Sie, Herr Kollege Seifert, wem das wohl gehören könnte?«
33
23. Juli 2009
Als ich fertig gelesen hatte, hielt ich Wolfert das Blatt hin.
Ich sah Nicole Klement vor mir, wie sie uns zum ersten Mal die Tür öffnete, und das Bild war so klar, als wäre es nicht 15 Jahre, sondern erst 15 Stunden her. Ich sah wieder diese tiefe Traurigkeit in ihren Augen und verstand jetzt, was der Grund dafür war. Ich spürte die zarte Aura der Zerbrechlichkeit, der Verletzbarkeit, die sie umgeben hatte, als sie vor uns stand, und ahnte ansatzweise,
wie sehr
ihre Seele verletzt sein musste.
Diese Frau tat mir unendlich leid, obwohl das alles nun schon so lange her war. Und ich war wütend, so wütend, dass es mir schwerfiel, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Ich musste das jetzt zur Seite schieben. Wolfert nahm mir das Blatt aus der Hand, ich zog mein Handy aus der Hosentasche und wählte Menkhoffs Nummer. Nach zweimaligem Läuten ging er ran. »Ich bin’s, Alex. Ist Lichner noch bei dir?«
»Ja, sitzt mir gerade gegenüber, warum?«
»Wir haben gefunden, was wir gesucht haben, und … du musst das sehen, und vor allem müssen wir mit Dr. Lichner darüber reden.«
»Was? Wieso das denn?«
»Kann ich dir jetzt nicht am Telefon erklären, Bernd. Nur so viel: Nicole Klement hat als Kind ganz furchtbare Dinge erlebt. Dinge, die dazu geführt haben, dass sie als Erwachsene später große psychische Probleme hatte. Darüber
müssen
wir
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