Das Wesen. Psychothriller
Parkplatz warteten zwei vollbesetzte Streifenwagen auf uns und ein Zivilfahrzeug, in dem drei Kollegen der MK 2 saßen. Während Menkhoff sich anschnallte, sagte er: »Fahren Sie zu Lichner. Die anderen folgen uns.« Ich hatte es geahnt. Mein Puls ging schneller, als ich an den anderen Fahrzeugen vorbeifuhr. »Warum rücken wir mit so vielen Leuten da an? Was ist passiert?« Und warum erfahre ich erst so spät davon?
»Seit Tagen rede ich Nicole ins Gewissen, auch gestern Abend wieder. Ich habe ihr immer und immer wieder erklärt, dass nur sie uns helfen kann, ihn zu überführen, falls Lichner das Mädchen getötet hat. Eben hat sie mich angerufen.« Er atmete durch. »Hat sich endlich entschlossen, die Wahrheit zu sagen. Lichners Alibi … sie hat ihre Aussage widerrufen.«
»Aber reicht das denn, um … –«
»Unterbrechen Sie mich gefälligst nicht«, schnauzte er mich an, redete aber gleich darauf in normaler Lautstärke weiter. Er war hochgradig angespannt. »Außerdem hat sie sich an noch etwas
erinnert
, und das reicht dem Ermittlungsrichter auf jeden Fall für einen Durchsuchungsbeschluss. Der Herr Doktor kam also an dem Freitagabend, an dem die Kleine mit ziemlicher Sicherheit umgebracht worden ist, nicht zwischen sieben und halb acht nach Hause, sondern erst kurz vor Mitternacht. Am nächsten Morgen wollte Nicole in die Stadt fahren und hat dabei festgestellt, dass der Wagen total verdreckt war. Alles voller Schlamm, an den Reifen und den Felgen hingen Grasbüschel. Sie meint, es sah aus, als wenn er über einen matschigen Feldweg gefahren wäre. Klingelt da was bei Ihnen, Herr Kollege?«
Ich spürte, wie sich in meinem Magen ein Vakuum bildete, das meine Eingeweide zu einem kleinen Klümpchen zusammenziehen wollte.
Das
hatte Nicole Klement die ganze Zeit über gewusst und nichts gesagt? »Aber ist denn … ich meine, das Auto ist doch bestimmt seitdem gewaschen worden, ist denn noch was von dem Schlamm in der Garage?«
»Er hat wohl noch an diesem Morgen den Wagen waschen lassen und die Garage akribisch saubergemacht.« Natürlich, etwas in der Art hatte ich befürchtet. Es würde wahrscheinlich nichts mehr zu finden sein. »Das bedeutet aber, wenn er wirklich gründlich war, wird Frau Klements Aussage schwer zu beweisen sein.«
»Wir werden etwas finden«, erwiderte Menkhoff grimmig, »irgendwas.«
31
23. Juli 2009
Die Kollegen, die Dr. Lichner zu dem Haus in der Zeppelinstraße gebracht hatten, waren offenbar nur Sekunden vor uns dort angekommen. Lichner stand neben dem Passat und schlug gerade die Tür zu, als ich hinter dem Fahrzeug anhielt. Er sah uns durch die Windschutzscheibe an, und wie meistens konnte ich in seinem Gesicht keine Regung erkennen.
»Und jetzt?«, fragte ich, wobei ich die Lippen fast überhaupt nicht bewegte. Ich kam mir ziemlich dämlich dabei vor, schob dieses Gefühl aber zur Seite.
»Ich versuch’s trotzdem, lass mich mal machen«, sagte Menkhoff und öffnete die Beifahrertür. Ich war gespannt, was er vorhatte, und folgte ihm nach draußen. Aus den Augenwinkeln registrierte ich, dass die beiden Vordertüren des Passats sich öffneten, auf der Fahrerseite stieg Oberkommissar Egberts aus, ihm gegenüber unser Kollege mit dem wichtigen Vater, Kommissar Jens Wolfert. Glücklicherweise blieben sie beide stehen, wo sie waren, und beobachteten die Szene nur.
»Nein, so ein Zufall«, sagte Lichner und schlug dabei klatschend die Hände zusammen, womit er meine Aufmerksamkeit wieder auf sich zog. »Die Herren Hauptkommissare haben offenbar auch gerade in der Gegend zu tun, und da dachten sie doch bestimmt: Statten wir dem lieben Joachim Lichner einen Besuch ab und schauen mal, ob wir ihm nicht ein anderes Verbrechen anhängen können, das noch nicht aufgeklärt ist.«
»Dr. Lichner, es sieht danach aus, als hätten wir Sie zu Unrecht verdächtigt«, sagte Menkhoff, »und … das tut uns leid. Ich entschuldige mich bei Ihnen für die Unannehmlichkeiten, die Ihnen dadurch entstanden sind.« Mein Kopf drehte sich wie von selbst zur Seite, und ich starrte Menkhoff an. Hatte er sich tatsächlich gerade bei Joachim Lichner entschuldigt? Selbst der konnte seine Überraschung nicht verbergen, wie ich feststellte, als ich meinen Blick endlich von meinem Partner abwenden konnte. »Meinen Sie das in Bezug auf die 13 Jahre, die ich im Knast gesessen habe, Herr Hauptkommissar?«, fragte er.
Mein Blick wanderte wieder zu meinem Partner herüber, ich kam mir fast vor wie ein
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