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Das Wetter vor 15 Jahren

Das Wetter vor 15 Jahren

Titel: Das Wetter vor 15 Jahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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das Klettern ein bisschen schwereloser geschildert, als es war. Und die abgerissene Zehe hab ich überhaupt unerwähnt gelassen.
    Literaturbeilage Ach ne, das ist Ihnen bestimmt schwer gefallen.
    Wolf Haas Ja, das ist mein erstes Buch, in dem niemandem was amputiert wird.
    Literaturbeilage Also im Buch schildern Sie das würklich komplett anders! „Ich erhob mich, als würde die Schwerkraft mich nach oben heben, während der Pfarrer das Brautpaar aufforderte, sich zu erheben. Ich hörte die Brautmutter schluchzen, ich hörte die Orgel spielen, ich hörte Frau Bachl weinen, ich hörte die Kürchgänger husten, ich hörte die Aufforderung des Pfarrers, die versammelten Gläubigen mögen es dem Brautpaar gleichtun und sich zum feierlichen Jawort erheben, und ich hörte die knarrenden Betstühle unter den tauben, mit letzter Kraft sich erhebenden Körpern ächzen. Ich spürte meine Knie nicht mehr, so lange hatte ich reglos in der Kürchenbank gekauert. Aber ich schaffte es, mich auf Geheiß des Pfarrers ein, zwei Zentimeter hochzuziehen."
    Wolf Haas Ja, hui. Endlich war ich mit der Geschichte in der Kirche unten.
    Literaturbeilage Drei Minuten vor dem Jawort. Während Ihr Held immer noch wie eine Fledermaus im Überhang hing.
    Wolf Haas „Wie eine Fledermaus" hab ich aber nirgends geschrieben.
    Literaturbeilage Das Bild hat sich mir einfach aufgedrängt. Auch weil Sie das wunderschöne Kerzenlicht in der Kürche so betonen, während Kowalski in der Dunkelheit festsitzt.
    Wolf Haas Aber nicht mehr lange.
    Literaturbeilage Hier gerät Ihre Erzählung ja für einen Moment nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich aus den Fugen. Indem Sie darauf verweisen, dass an der Stelle, wo jetzt das Brautpaar steht, in drei Tagen ein Sarg stehen wird.
    Wolf Haas Ja gut, das ist eigentlich eine normale Vorausdeutung. Wie er es sonst auch manchmal macht. Das ist in dem Sinn kein Perspektivenwechsel. Er sagt ja nur, jener Tote, für den drei Tage später dieselben Kirchenglocken läuten sollten, war nicht -
    Literaturbeilage - und für den drei Tage später dieselben Leute dasselbe Sonntagsgewand anzogen -
    Wolf Haas Genau - und dessen blumengeschmückter Sarg an derselben Stelle im Zentrum des Altarraumes stand -
    Literaturbeilage - an derselben Stelle, wo jetzt das Brautpaar sich zum allseits erwarteten Eheringtausch erhob -
    Wolf Haas - jener Tote war nicht er.
    Literaturbeilage Er sagt: „Jener Tote, den drei Tage später derselbe Dorfpfarrer für immer verabschiedete, der jetzt Anni und Lukki aufforderte, sich zu erheben, um mit einem Kuss den Bund des Lebens zu besiegeln, jener Tote war nicht ich."
    Wolf Haas Mehr sagt er ja nicht.
    Literaturbeilage An der Stelle ist man beim Lesen ja fast verärgert, dass Sie die Hochzeitsgesellschaft so ausführlich beschreiben. Ausgerechnet hier, wo man nur noch wissen will, ob und wie Vittorio Kowalski rauskommt, verkünsteln Sie sich in einer Beschreibung von Annis Hochzeitskleid. Beim ersten Vorführen des Kleides vor drei Tagen habe Anni die Farbe als „Vanille" bezeichnet.
    Wolf Haas Vor drei Tagen und sieben Stunden, ja.
    Literaturbeilage Und jetzt heißt es, Vanille sei das keinesfalls. Es folgen einige Abschweifungen zum Vanilleeis im Waldbad, sogar der damalige Preis für eine Kugel Vanilleeis wird genannt.
    Wolf Haas Ja, eine Kugel ein Schilling. Ganz früher. Ich persönlich kann mich sogar noch an fünfzig Groschen erinnern. Das dürfen Sie aber nicht schreiben, das macht mich alt.
    Literaturbeilage Und der Erzähler, der sich gerade in allerhöchster Lebensgefahr befindet, schränkt auch noch ein, es sei ihm durchaus klar, dass mit der Farbbezeichnung „Vanille" nicht die künstliche Farbe von Vanilleeis gemeint ist. Doch auch die Farbe von echter Vanille habe das Kleid im Kerzenlicht nicht mehr gehabt.
    Wolf Haas Meine Mutter ist mir immer damit in den Ohren gelegen, dass man beim Kauf eines Kleidungsstücks unbedingt zur Tür gehen und es bei Tageslicht anschauen muss. Wegen der verfälschenden Wirkung des Kunstlichts.
    Literaturbeilage Ach, Ihre Mutter war das? Im Buch legen Sie das ja Vittorios Mutter in den Mund.
    Wolf Haas Das ist doch egal, alle Mütter dieser Welt haben das gepredigt. Immer zur Tür gehen! Zum Tageslicht! Bloß nichts bei Kunstlicht beurteilen!
    Literaturbeilage Während Annis Brautkleid in der wundersamsten Lichtstimmung leuchtet, wird Vittorios Kopflampe in der Finsternis des Schmugglerlagers, durch die er sich millimeterweise vorwärts schiebt,

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