Das Wetter vor 15 Jahren
immer schwächer.
Wolf Haas Das schöne Licht, das durch die bunten Kirchenfenster hereinsickert, ist ja auch ein erster Hinweis, dass während der Messe die Sonne herausgekommen ist.
Literaturbeilage Das versteht man aber an der Stelle noch nicht. Man ist so sehr in der Kürche, dass man nicht auch noch an das Wetter draußen denkt.
Wolf Haas Nein, verstehen soll man's natürlich erst nachher. Es ist hier nur so eine Art Vorbereitung. In erster Linie wollte ich es einfach auskosten, weil es wirklich ein unglaublich schönes Licht war.
Literaturbeilage Sie schreiben, Vittorios Mutter, also wohl Ihre Mutter, habe immer behauptet, in den Kleiderläden hätten sie ein spezielles Licht, in dem alles gut aussieht. Und dann heißt es weiter: „Doch auch in den Kürchen müssen sie so ein Licht haben." Wolf
Haas Das war wie in einem Tarkowski-Film oder so, die tausend Kerzenflämmchen, und Annis Kleid hat die Kerzenflammen reflektiert und den goldenen Barockaltar und die bunten Kirchenfenster und das Blumenmeer, in dem die Braut förmlich zu schwimmen schien, das hab ich mir ja so gar nicht zu schreiben getraut.
Literaturbeilage Sie sind begeistert.
Wolf Haas Wie meinen Sie das?
Literaturbeilage Diese Frau. Sie hätte Ihnen auch gefallen.
Wolf Haas Ich kann doch eine Braut nicht beschreiben, ohne mich beim Schreiben für sie zu begeistern. Ich hab ja auch schon Mörder beschrieben.
Literaturbeilage Sie schreiben: „Die Braut war von einem derartigen Glanz umstrahlt, dass es kaum möglich war, nicht die Hände für einen Moment von der Lehne der steinernen Kürchenbank vor mir zu nehmen, ganz kurz loszulassen, einen Augenblick nur, um
vor Begeisterung in die schmerzenden Hände zu klatschen."
Wolf Haas Das mit den Händen ist aber gerade nicht meine Perspektive! Das ist als letzter Ich-Rest, wenn man so will, noch vom Kowalski aus gesehen, der immer noch im Überhang hängt. Das ist ja der Witz an der Sache. Wenn er jetzt in seiner Begeisterung in die Hände klatscht, in seiner rauschhaften Leichtheit, ist er tot.
Literaturbeilage Weil er sich in Wahrheit nicht in die Kürchenbank krallt, sondern immer noch in den Fels.
Wolf Haas Darum ja auch „schmerzende" Hände.
Literaturbeilage Und „steinerne" Kürchenbank. Das ist schon klar. Diese Überblendungstechnik sozusagen, wo noch letzte Schatten von Kowalskis realer Situation durchscheinen. Trotzdem. Der Blick auf Anni und ihren Bräutigam ist der Blick aus der hintersten Kürchenbank. Haben Sie dort gesessen?
Wolf Haas Nein. Ich bin hinten gestanden. Wo eben die Leute stehen, die nicht so richtig dazugehören, in der Kirchentür sozusagen. Im Eingangsbereich, ich weiß nicht, wie man das nennt.
Literaturbeilage Sie beschreiben nicht nur die Lichtstimmung in der Kürche sehr ausführlich, sondern auch Annis Hochzeitsfrisur. Es heißt, von den Kürchenbänken aus betrachtet, seien die beiden Brautleute, die im Altarraum vor dem Pfarrer standen, beinahe gleich groß gewesen.
Wolf Haas Ja, und im Knien war Anni sogar größer! Wegen ihrer Hochzeitsfrisur. Die hochgesteckten Haare haben sie um einen Kopf größer gemacht. Und da waren so weiße Blüten in ihren kunstvoll aufgetürmten dunklen Haaren, weiße Orangenblüten, aber das hat von fern fast so ausgesehen, als wären das kleine Flämmchen oder Glühwürmchen, die ihren Kopf beleuchten.
Literaturbeilage Hat Sie das eigentlich geärgert, dass ein Kritiker etwas hämisch diesen Fehler aufdeckte, dass Anni in dem Kapitel, wo sie ihm das Kleid vorführt, von einem Hut spricht, der erst geliefert werden soll, und jetzt trägt sie offenbar keinen Hut, sondern eine Hochsteckfrisur?
Wolf Haas Nein. Es stimmt ja, dass es ein Fehler ist. So was passiert mir immer irgendwo.
Literaturbeilage Ich hab mir beim Lesen gedacht, sie hat sich's eben anders überlegt.
Wolf Haas Nein, das war schon mein Fehler. Ich hab geschrieben, der Hut wird erst geliefert, weil ich nicht schreiben wollte, was sie wirklich gesagt hat. Also dass der Strumpfgürtel erst geliefert wird.
Literaturbeilage Der schamhafte Autor.
Wolf Haas Und da hab ich eben übersehen, dass das mit dem Hut nicht zu ihrer Frisur passt.
Literaturbeilage Hut wäre bei der Frisur würklich schade gewesen. Das klingt ja zauberhaft, wie Sie schreiben: „Die Orangenblüten flackerten in ihrem Haar."
Wolf Haas Ja, und ihr Nacken war so zart, dass man sich gefragt hat, wie ihr Hals diese aufgetürmte Haar-und Blütenlast überhaupt tragen
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