Das wilde Leben
vollgekotzte Vjetal mitten auf der Straße auf ihren neuen schwarzhäutigen Kumpel. Der fuhr ein italienisches Moped und schlug vor, nach Jalta zu düsen, um den Hasch loszuschlagen, den er von den Moldawiern bekommen würde, er brauche, erklärte er, einen Partner als Aufpasser. Vjetal zog den Helm auf, setzte sich auf das Moped, und sie brausten los, schreckten Möwen und Fledermäuse auf, und erst kurz vor Jalta fuhren sie in den Nebel, der sie mit Wärme, Frische und Bitternis umhüllte.
3
Die Moldawier lebten auf einem Autohof, inmitten von Schnee, Nebel und kaputten Ikarus-Bussen. Der Autohof lag auf einer Anhöhe, unten war die warme wehrlose Stadt, dahinter scharf glitzernd der Meeresspiegel, und oben, über ihren moldawischen Köpfen, hing der Bergkamm. Sie wa
ren Anfang Juni gekommen, eine zehn Mann starke Brigade, angeheuert von einem wunderlichen fetten General, der sich auf dem Gelände des Krankenhauses eine Datscha baute und sie in den Garagen des Autohofs unterbrachte. Bis Oktober sollten sie fertig sein, und am Anfang lief alles ziemlich gut – die Brigade arbeitete eingespielt, die Moldawier verhielten sich still und fromm. Doch schon im August begannen die Probleme – der General wurde vom Geheimdienst geschnappt und die Moldawier blieben verwaist zurück. Die Generalstochter reiste an und sagte, sie sollten warten, bis sich alles aufgeklärt habe. Die Moldawier beschlossen zu warten. Arbeiten wollten sie aber nicht mehr. An den brennend heißen Augustmorgen krochen sie aus ihren Garagen, machten es sich auf alten Reifen bequem und wärmten ihre dürren Körper. Gegen Abend, als die Hitze nachließ, wurde einer von ihnen ins Tal geschickt, zu den Menschen, Alkohol und Essen holen. Sie blieben lange wach und glotzten unter dem Sternenhimmel und den stacheligen Bergkämmen in ihren tragbaren Fernseher. Schwimmen konnten sie nicht, deswegen gingen sie nicht ans Meer. Da ihre Papiere beim General geblieben waren, wollten sie sich überhaupt nicht allzuviel blicken lassen. Ende August tauchte die Generalstochter wieder auf, sagte, bei ihrem Vater sei ein zweiter Reisepaß gefunden worden, und zahlte einen Teil des Geldes aus. Die Moldawier, die gerade überhaupt keine Pässe hatten, wußten nicht, ob dies eine gute oder eine schlechte Nachricht war, also beschlossen sie, weiter zu warten. An die Arbeit machten sie sich vorsichtshalber aber nicht. Im September kam die Erntezeit. Hinter dem Wald, der die Garagen umschloß, waren die Moldawier noch im Juni in einer Senke auf sonnige Plan
tagen gestoßen, früher, in der Sowje, offensichtlich Weinberge. Die Plantagen gehörten einem Agrarunternehmen aus Kiew, das sie schon in den neunziger Jahren erworben und auf den furztrockenen Krim-Böden tapfer Kartoffeln, Mais und anderes nützliches, gleichwohl glückloses Gemüse angebaut hatte. Vor ein paar Jahren ging das Unternehmen pleite, und die Weinberge gerieten in Vergessenheit. Wilder Hanf überwucherte sie, der unter der warmen und fürsorglichen subtropischen Sonne zielstrebig nach oben schoß. Schon seit zwei Monaten musterten die Moldawier gierig diese Hanfallmende und warteten nur, bis der September käme und mit ihm die gesegnete Erntezeit. Im September schoß der Hanf sozusagen ins Kraut. Die Moldawier schlenderten durch das warme duftige Gestrüpp, zerrieben die reifen Blätter in den Händen und schnüffelten träumerisch an ihren Fingern, die schwarz vor Öl und grün vor Hanf waren. Mit vollen Taschen kehrten sie zurück, fielen auf die alten Reifen und rauchten bis in die Nacht hinein, schauten hinab auf das verlöschende Meer und zählten die Satelliten. Auf den Reifen schlummerten sie auch ein und schliefen bis zum Mittag. Ihre Kleidung roch nach reifem, sonnigem Hanf, die Hanfsamen verstopften ihnen Taschen, Socken und Nasenlöcher. Morgens kamen schwere Septemberbienen angeflogen, setzten sich auf ihre dunkelbraune, von der Zeit gegerbte Haut und sammelten direkt davon den Blütenstaub. Schnellbeinige Spinnen sponnen in ihren Taschen Netze, und Marienkäfer krochen in ihre Schuhe, um dort Schatten, Ruhe und Vergessen zu finden.
Die Moldawier hatten es nicht eilig, die ganze Ernte sofort einzubringen, nahmen sie doch berechtigterweise an, daß die Ernte sowieso ihnen gehörte und daß wohl kaum
jemand auf die Idee käme, einen Traktor in die Berge zu schicken, um für die Kühe als Winterfutter Cannabis zu mähen. Eines Tages jedoch, als sie sich gerade von gestern erholt hatten und
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