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Das Wirken der Unendlichkeit

Das Wirken der Unendlichkeit

Titel: Das Wirken der Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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allem, oder vielleicht gerade deswegen, bist du dem Ziel recht nahe. Du hast es fast erreicht.«
    Ich hörte nie auf, mich darüber zu wundern, wie sich meine Stimmung jedesmal änderte, wenn ich Don Juan besuchte. Ich kam stets schlechtgelaunt, mürrisch und voller Überheblichkeit und Zweifel zu ihm. Nach einer Weile veränderte sich meine Stimmung auf wundersame Weise. Ich wurde schrittweise freundlicher, bis ich ausgeglichener denn je war. Meine neue Stimmung blieb jedoch in meinen alten Wortschatz eingebettet. Üblicherweise redete ich wie ein total unzufriedener Mensch, der sich zwar nicht lauthals beklagt, dessen endlose Klagen aber in jeder Wendung des Gesprächs mitschwingen. »Kannst du mir ein Beispiel für ein denkwürdiges
    Ereignis aus deinem Album geben, Don Juan?« fragte ich in dem üblichen Ton einer unterschwelligen Klage. »Wenn ich dein Prinzip kennen würde, könnte ich vielleicht auch etwas finden. So wie es aussieht, tappe ich hoffnungslos im dunkeln.«
    »Erkläre nicht so viel«, erwiderte Don Juan und sah mich streng an. »Die Schamanen sagen, in jeder Erklärung steckt eine getarnte Entschuldigung. Wenn du also erklärst, warum du dies oder das nicht tun kannst, dann entschuldigst du dich in Wirklichkeit für deine Schwächen und hoffst darauf, daß derjenige, der dir zuhört, die Freundlichkeit besitzt, sie zu verstehen.« Wenn ich angegriffen wurde, war es schon immer meine nützlichste Strategie gewesen, meine Angreifer dadurch abzuwehren, daß ich ihnen nicht zuhörte. Don Juan besaß jedoch die schreckliche Fähigkeit, meine Aufmerksamkeit völlig gefangenzunehmen. Gleichgültig, wie sehr er mich angriff, gleichgültig, was er sagte, er schaffte es immer, daß ich ihm wie gebannt zuhörte. Bei dieser Gelegenheit gefiel mir seine Aussage über mich überhaupt nicht, denn sie entsprach leider der nackten Wahrheit. Ich wich seinem Blick aus. Wie üblich fühlte ich mich besiegt. Aber diesmal handelte es sich um eine merkwürdige Art der Niederlage. Meine Ohnmacht machte mir nicht so zu schaffen, wie es in der normalen Alltagswelt der Fall gewesen wäre oder kurz nach der Ankunft bei ihm.
    Nach einem sehr angen Schweigen setzte Don Juan das Gespräch fort. »Ich werde mehr tun, als dir ein Beispiel eines denkwürdigen Ereignisses aus meinem Album zu geben«, sagte er. »Ich werde dir ein denkwürdiges Ereignis aus deinem Leben erzählen, das mit Sicherheit in deine Sammlung gehört. Oder sagen wir, ich an deiner Stelle würde es bestimmt in meine Sammlung denkwürdiger Ereignisse aufnehmen.«
    Ich dachte, Don Juan mache einen Spaß, und reagierte darauf mit einem albernen Lachen. »Da gibt es nichts zu lachen!« rief er scharf. »Ich meine es ernst. Du hast mir einmal eine Geschichte erzählt, die den Anforderungen entspricht.«
    »Was für eine Geschichte ist das, Don Juan?« »Die Geschichte >Der Tanz vor dem Spiegel<«, antwortete er. »Erzähl mir die Geschichte noch einmal. Aber erzähl sie in allen Einzelheiten, an die du dich erinnern kannst.«
    Ich begann, die Geschichte einfach so zu erzählen. Er unterbrach mich und verlangte eine sorgfältige, in alle Einzelheiten gehende Erzählung und zwar von Anfang an. Ich versuchte es noch einmal, aber meine Bemühungen genügten ihm nicht.
    »Machen wir einen Spaziergang«, schlug er vor. »Beim Gehen bist du viel genauer, als wenn du beim Sprechen sitzt. Es wäre keine schlechte Idee, immer dann hin und her zu gehen, wenn du etwas berichten willst.« Wir saßen wie üblich tagsüber unter dem Vordach des Hauses. Ich hatte es mir zur Gewohnheit gemacht, jedesmal an derselben Stelle zu sitzen und mich mit dem Rücken an die Hauswand zu lehnen. Don Juan saß an verschiedenen Plätzen unter dem Vordach, aber nie an derselben Stelle.
    Wir machten uns in der schlechtesten Zeit des Tages, nämlich mittags, auf den Weg. Er überließ mir wie immer, wenn wir in der Hitze liefen, einen alten Strohhut. Lange gingen wir in völligem Schweigen nebeneinander her. Ich gab mir große Mühe, mich an alle Einzelheiten der Geschichte zu erinnern. Es war bereits Nachmittag, als wir uns schließlich im Schatten einiger hoher Büsche setzten und ich ihm die ganze Geschichte erzählte. Als ich vor Jahren in einer Kunstschule in Italien Bildhauerei studierte, hatte ich einen guten Freund, einen Schotten. Er studierte Kunst, um Kunstkritiker zu werden. Am deutlichsten erinnerte ich mich an seine überspannte Vorstellung von sich selbst. Er hielt sich für den

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