Das Wirken der Unendlichkeit
sittenlosesten und sinnlichsten Allround-Gelehrten und Künstler seiner Zeit. Und das hatte auch mit der Geschichte zu tun, die ich Don Juan erzählte. Er hielt sich für einen Alleskönner. Sittenlos war er, aber die Sinnlichkeit stand in völligem Gegensatz zu seinem verknöcherten, nüchternen und ernsthaften Wesen. Er war ein begeisterter Anhänger des englischen Philosophen Bertrand Russell und träumte davon, die Grundsätze des logischen Positivismus auf die Kunstkritik anzuwenden. Ein Allround-Wissenschaftler und Künstler zu sein, war vielleicht seine kühnste Idee, denn er war ein Bummelant und hielt absolut nichts von Arbeit.
Aber seine dubiose Spezialität hatte nichts mit Kunstkritik zu tun, sondern beruhte auf der persönlichen Kenntnis aller Prostituierten der lokalen Bordelle, von denen es viele gab. Die farbigen und ausführlichen Berichte, mit denen er mich bedachte, um mich, wie er sagte, über die wundervollen Dinge, die er in der Welt seiner Wahl vollbrachte, auf dem laufenden zu halten, waren amüsant. Es überraschte mich daher nicht, daß er eines Tages aufgeregt und beinahe außer Atem in meiner Wohnung erschien. Er hatte offenbar etwas ganz Außerordentliches erlebt, das er mir nicht vorenthalten wollte. »Carlos, das musst du mit eigenen Augen sehen!« rief er begeistert in dem Oxford-Englisch, das er mir gegenüber immer benutzte. Er ging unruhig im Zimmer auf und ab. »Es läßt sich kaum beschreiben, aber ich weiß, du wirst es zu schätzen wissen. Der Eindruck wird dich ein Leben lang nicht mehr loslassen. Ich werde dir ein wundervolles Geschenk fürs Leben machen. Begreifst du das nicht?« Ich begriff nur, daß er ein verrückter Schotte war. Es machte mir jedoch immer Vergnügen, ihm seinen Willen zu lassen und auf ihn einzugehen. Ich hatte es bisher noch nie bereut.
»Beruhige dich, beruhige dich, Eddie«, erwiderte ich. »Worum geht es denn eigentlich?«
Eddie berichtete, er sei in einem Bordell gewesen. Dort habe er eine unglaubliche Frau kennengelernt, die etwas Unglaubliches tat, was sie den >Tanz vor dem Spiegel< nannte. Er beteuerte immer wieder atemlos, ich sei es mir schuldig, diese unglaubliche Erfahrung selbst zu machen.
»Mach dir keine Gedanken um das Geld!« sagte er, denn er wusste, ich hatte keins. »Ich habe bereits für dich bezahlt. Du musst nur noch mitkommen. Madame Ludmilla wird dir ihren >Tanz vor dem Spiegel< zeigen. Ihre Show ist einsame Spitze!«
In einem unkontrollierbaren Heiterkeitsausbruch begann Eddie zu lachen und vergaß dabei erstaunlicherweise sogar seine schlechten Zähne, die er beim Lächeln oder Lachen sonst nie entblößte. »Du kannst mir glauben, die Frau ist einfach phantastisch!« » Ich wurde von Minute zu Minute neugieriger und bekam größte Lust, den Spaß an seiner neuen Entdeckung zu teilen. Eddie fuhr mit mir in seinem Wagen an den Stadtrand. Wir hielten vor einem schmutzigen, verwahrlosten Gebäude, wo die Farbe von den Wänden blätterte. Das Haus schien einmal ein Hotel gewesen zu sein, das man später in ein Mietshaus umgewandelt hatte. Ich sah noch die Überreste eines zertrümmerten Hotelschildes. An der Fassade gab es eine Reihe schmutziger kleiner Balkone mit Blumentöpfen oder mit Teppichen, die über dem Balkongeländer hingen.
Am Hauseingang standen zwei dunkle, zwielichtig wirkende Männer mit spitz zulaufenden schwarzen Schuhen, die zu eng für ihre Füße zu sein schienen. Sie begrüßten Eddie überschwenglich. Sie hatten schwarze, unstete und bedrohliche Augen und trugen glänzende hellblaue Anzüge, die für ihre muskulösen Körper ebenfalls zu eng waren. Einer der beiden hielt Eddie die Tür auf. Mich beachteten sie nicht.
Wir stiegen auf einer verwahrlosten Treppe, die einmal sehr prachtvoll gewesen sein musste, zwei Stockwerke nach oben. Eddie ging voran und führte mich durch einen langen hotelartigen Gang mit Türen an beiden Seiten. Die Türen waren alle in einem trostlosen schmutzigen Olivgrün gestrichen. Jede Tür hatte eine Nummer aus Messing, die vom Alter braungrün angelaufen und o auf dem lackierten Holz kaum zu sehen war. Eddie blieb vor einer Tür stehen. Ich sah die Nummer 112. Er klopfte mehrmals. Die Tür wurde geöffnet, und eine kleine, dickliche Frau mit gebleichten blonden Haaren ließ uns wortlos eintreten. Sie trug einen roten seidenen Morgenmantel mit fedrigen, gerüschten Ärmeln und rote Pantoffeln mit flauschigen Bällen. Als wir in einem kleinen Flur standen und sie die Tür
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